Die Schöne des Herrn (German Edition)
knabberte an ihrem Ohr, das mit einem kleinen Marineanker geschmückt war, woraufhin die Betörende albern kicherte und, rief: »Lass das, du machst mich ganz wild«, und »Hör auf damit!« Als der junge Rotgesichtige seine Leidenschaftsbekundungen fortsetzte, gab die Hübsche ihm eine schalkhafte Ohrfeige, streckte ihm die belegte Zunge heraus und blickte dann mit kohlrabenschwarzen Augen beifallheischend in die Runde. Solal erhob sich. Das reichte an Kontakt mit dem Proletariat. Er konnte zu den Reichen zurückkehren, da die drei dummen Gänse schnatternd und kichernd in Saint-Raphaël ausgestiegen waren.
***
Mit ihrer Musterkindstimme erklärte sie, er habe sich geirrt, als er gesagt hätte, ein Zug nach Marseille würde am frühen Morgen in Agay halten. Laut Fahrplan, den die jungen Mädchen ihr geliehen hatten, sei dies der erste Zug nach Marseille. »Schön«, sagte er, ohne sie anzusehen, und zündete sich eine Zigarette an, um sich abzuschirmen. Nach kurzem Schweigen sagte sie, dieser Zug sei sehr schnell und sie würden bereits um dreizehn Uhr neununddreißig in Marseille sein. »Schön«, sagte er. Nach einem erneuten Schweigen sagte sie, es sei schade, dass sie diesen Zug in Cannes genommen hätten, da er ja auch in Saint-Raphaël halte. Das sei die Schuld des ersten Taxifahrers, der ihnen eine falsche Auskunft gegeben habe, vielleicht absichtlich, um eine längere Fahrt zu machen. Er antwortete nicht. Darauf erhob sie sich und setzte sich neben ihn. »Darf ich?«, fragte sie. Er antwortete nicht. Sie schob die Hand unter den Arm ihres zutiefst Beschämten und fragte ihn, ob es ihm gut gehe. »Ja«, sagte er. »Mir auch«, sagte sie, küsste die verletzte Hand und lehnte den Kopf an die geliebte Schulter.
Als der Zug auf dem Bahnhof von Toulon hielt, erwachte sie abrupt und murmelte, sie habe den Gashahn abgedreht. Ein Kellner des Speisewagens in weißer Jacke kam klingelnd vorbei und kündigte den zweiten Service an. Sie sagte, sie habe Hunger. Er sagte, er auch.
CI
Nach einem nachmittäglichen Stadtbummel kehrten sie Hand in Hand in ihr Hotel zurück. Ihr hatte alles an Marseille gefallen, die lärmende Rue Longue-des-Capucins mit den vielen Gemüse- und Lebensmittelständen, der Fischmarkt mit seinen kräftigen und schlagfertigen Fischweibern, die Rue de Rome, die Rue Saint-Ferréol, die Canebière, der alte Hafen, die engen verrufenen und doch so einladenden Gassen, in denen sich gefährlich, hüftlahm, katzenhafte Herren mit pockennarbigen Gesichtern herumtrieben.
Glücklich, weil sie ihn in seinem Bad singen hörte, lächelte sie sich im Spiegel zu. Es war eine gute Idee gewesen, die hübschen Pantoffeln und die Perlenkette mitzunehmen, die so gut zu diesem Morgenrock passten. Mit dem gleichen Lächeln überprüfte sie anschließend das kalte Diner, das eben auf den Tisch gestellt worden war, und gratulierte sich, eine Mahlzeit bestellt zu haben, wie er sie liebte. Vorspeisen, Lachsschnitten, kalter Braten, Mousse au chocolat, Petits Fours, Champagner. Eine gute Idee auch dieser fünfarmige Leuchter, den sie hatte bringen lassen. Sie würden bei Kerzenlicht essen, das war intimer. Es war alles gut. Seit ihrer Ankunft hier war er sehr nett zu ihr gewesen.
Sie wollte gerade die Schachtel mit den Kerzen öffnen, um fünf für den Leuchter herauszunehmen, als er eintrat, herrlich in diesem rohseidenen Schlafrock. Sie rückte sich die Stirnlocke zurecht und deutete mit der anmutigen Geste eines Päderasten auf den Tisch.
»Schauen Sie nur, die hübschen Farben dieser Vorspeisen. Es sind schwedische und russische dabei, das war meine Idee. Diese kleinen hellbraunen Dinger da heißen
supions
, junge Tintenfische, eine provenzalische Spezialität, wie mir der Oberkellner sagte, sie sollen sehr gut sein, aber man muss sie zuerst in diese grüne Soße tunken. Liebster, wissen Sie was? Sie legen sich jetzt ins Bett, und ich werde Sie bedienen. Und während Sie von all diesen guten Sachen kosten, lese ich Ihnen vor. Wäre Ihnen das recht?«
»Nein, wir werden zusammen am Tisch essen. Du kannst mir nach dem Essen vorlesen, wenn ich mich hingelegt habe. Und während du liest, werde ich Petits Fours essen. Aber ich gebe dir davon ab, wenn du willst.«
»Ja, mein Liebster, natürlich«, sagte sie mit mütterlich liebevollem Schmollen. (Wie könnte ich ihm böse sein?, dachte sie.) »Und jetzt werde ich diesen Kerzenleuchter anzünden, Sie werden sehen, das gibt ein sehr mildes Licht. (Sie öffnete die
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