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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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und die dritte sagte, auch sie habe ganz kolossal gehustet. Er stand auf, verließ das Abteil, ging durch die große, nach Hammel riechende Ziehharmonika in den Wagen dritter Klasse, öffnete die Tür des letzten Abteils und setzte sich.
    Vom Rausch der Geschwindigkeit gepackt und immer kurz vor dem Umkippen, raste und ratterte der verstörte und ungelenke Zug dahin, fuhr in einen Tunnel hinein, stieß einen Schreckensschrei aus, während der Dampf die Fensterscheiben weiß färbte, und ein Pandämonium quietschenden Eisens und schwitzender Wände brach los, und dann erschienen plötzlich wieder die Landschaft und das friedliche Grün. Von Zeit zu Zeit blickten die Reisenden stumm zu dem gut gekleideten Fremden und nahmen dann ihre Gespräche wieder auf. Die geschminkte Arbeiterin mit den gestopften Seidenstrümpfen strafte den Bauern mit Verachtung, der sich beim Reden das stoppelige Kinn kratzte, um seine Schüchternheit zu verbergen. Die dicke Oma mit Alpenmütze und Kaninchenfellkragen antwortete ihrer Nachbarin, gähnte, um eine Lüge zu überspielen, wischte ihrem dreijährigen Engel den langen Rotzfaden aus dem Gesicht und begann dann ein gekünsteltes Gespräch mit ihm, sozusagen im Sonntagsstaat, zur Erbauung des Publikums, stellte ihm mit ungewöhnlicher Liebenswürdigkeit alle möglichen Fragen, um den Kleinen zu überraschenden und erwachsen klingenden Antworten zu ermuntern, welche die Bewunderung der Anwesenden, die sie keinen Augenblick aus den Augen ließ, erregen sollten, doch sobald der abscheuliche Knirps die ungewohnte Nachsicht spürte, nahm er die Gelegenheit wahr, um aus Leibeskräften zu schreien, mit den Füßen aufzustampfen, zu sabbern und Knoblauchwurst zu erbrechen. Zwei Verlobte saßen allein am Ende der Bank und verschränkten ihre roten Finger, deren Nägel schwarzgerändert waren. Die Braut hatte zahllose Pickel auf der Stirn. Der Bräutigam hatte eine winzige Nase und trug ein hellbraunes kariertes Sakko, einen steifen Kragen, einen Pullover mit Reißverschluss, Lackschuhe und lila Socken. Aus der Sakkotasche ragten ein Drehbleistift und ein angehakter Kugelschreiber, ein Taschentuch mit Spitzenrand und eine kleine Kette mit einer 13 in einem Kreis. Er flüsterte seinem Schatz Fragen zu und säuselte Worte des Liebesverlangens, die sie, bezaubert, nur mit einem unterdrückten Kichern oder einem verführerischen »ach du« beantwortete. Da er mit der Gesellschaft im Reinen und sich seiner Rechte sicher war, betatschte er ungeniert den Hintern seiner Dame, die ganz stolz darauf war,
»La Chapelle au clair de lune«
summte und ihre Stirnpickel wohlig auf die gut gepolsterte männliche Schulter legte.
    Saint-Raphaël. Stoßweises Bremsen, die Räder heulten auf wie geprügelte junge Hunde, und endlich hielt der Zug mit einem langen, müden Seufzer, einem krampfartigen Zucken, metallischem Knurren, Geflüster, einem letzten Seufzer. Kühnes Eindringen neuer Fahrgäste, argwöhnische Blicke der bereits Sitzenden. Eine Familie kam herein, angeführt von einer rotgesichtigen Alten mit schwarzem Schleier, und der Zug fuhr wieder an, asthmatisch keuchend und metallisch klappernd. In der Ferne glitzerte einsam ein Fluss, verschwand, und die Alte reichte dem Schaffner die Fahrkarten ihrer Sippe, mit dem leisen selbstzufriedenen Lachen derjenigen, die eine gültige Fahrkarte besitzt und Teil einer Gruppe ist. Dann zog sie die Oma mit der Alpenmütze in ein Gespräch und erklärte ihr, sie könne Tiere nicht leiden sehen; anschließend wandte sie sich an die noch immer befummelte Braut, die ihre verschattete Oberlippe leckte, bevor sie der gewichtigen Dame antwortete. Danach stärkten sich die Verlobten mit Schweinskopfsülze und Zervelatwurst, und sie saugte sich diskret und mit schrillen Pieplauten die Fäserchen aus den Zähnen. Nachdem der Imbiss beendet war, schälte sie mit dem Daumennagel eine Orange, die sie ihrem Mann reichte, und dieser verspeiste sie mit Behagen, vorgebeugt und die Beine gespreizt, um sich nicht zu bekleckern, rülpste, wischte sich die Hände an dem Taschentuch ab, das sie ihm reichte, und spielte mit dem Reißverschluss seines neuen Pullovers, während der Zug durchging, torkelte und ratternd dahinraste. Die vom Wein gerötete und schwitzende Braut fand es witzig, Leuten auf der Straße »Adieu, Adieu, Adieu« zuzurufen und dabei heftig zu winken, was die Anwesenden erheiterte. Stolz auf den Erfolg seines lieben Schatzes, spielte der Bräutigam den Verliebten und

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