Die Schöne des Herrn (German Edition)
aber um ganz sicher zu sein, halten Sie sich im voraus in der Nähe der Tür auf, mit weißen Handschuhen, kerzengerade und bereit zu öffnen, falls diese Persönlichkeit doch früher kommen sollte. Bleiben Sie also ab neun Uhr dreißig in der Nähe der Tür, vergessen Sie nicht die weißen Handschuhe, und passen Sie auf, dass Sie sie mir nicht schmutzig machen, und das gilt auch für die Schürze, die untadelig sein muss. Also, sobald die Persönlichkeit klingelt, öffnen Sie lächelnd die Tür, nehmen ihm lächelnd den Hut ab, aber übertreiben Sie es nicht, lächeln Sie bescheiden wie ein Dienstmädchen, und dann öffnen Sie ihm die Tür des Salons, wo wir sitzen werden, und melden mit lauter Stimme den Herrn Untergeneralsekretär des Völkerbundes, aber dabei lächeln Sie nicht, wie es bei großen Empfängen üblich ist, verstanden?«
»Aber Antoinette, Adrien hat doch gesagt, er würde ihn im Vestibül empfangen, fünfzehn Sekunden nach dem Klingeln.«
»Richtig, das hatte ich vergessen. Übrigens ist mir das lieber, denn das Anmelden mit lauter Stimme erfordert Stil und eine gewisse Erziehung. Das hätte nicht zu Ihnen gepasst, meine arme Martha, schließlich kommen Sie ja nicht aus einem Mijöh, wo man oft hohe Persönlichkeiten empfängt! Oh, das soll kein Vorwurf sein, denn es ist ja nicht Ihre Schuld, dass Sie aus bescheidenen Verhältnissen kommen«, schloss sie mit einem strahlenden Lächeln.
Adrien erschien wieder und erklärte, Ariane habe keinen Hunger und würde erst herunterkommen, wenn der Gast da sei. Herr Deume trat an das Buffet und nahm etwas Brot, auf das er ein kleines Stück Greyerzer legte. »Hippolyte!«, rief Frau Deume ihm mahnend zu. Er begriff sofort, legte Brot und Käse an ihren Platz zurück und wartete, bis seine Frau das Tischgebet gesprochen hatte. Nein wirklich, wozu extra ein Tischgebet für ein Stück Käse mit Brot, das man noch dazu im Stehen essen musste!
»O Herr«, begann Frau Deume, während sie mit geschlossenen Augen vor dem Buffet stand, »wir danken Dir, dass Du diesen Abend, den wir mit dem Herrn Untergeneralsekretär des Völkerbundes verbringen werden, gewollt und vorbereitet hast. Ja, o Herr, wir danken Dir, wir danken Dir.« (Da ihr nichts anderes einfiel, wiederholte sie das »wir danken Dir« mehrmals und in einem immer zärtlicheren und weicheren Ton, um die Leere auszufüllen, bis ihr ein neuer Satz eingefallen war.) »Wir danken Dir, wir danken Dir, oh, wir danken Dir, wir danken Dir. Gesegnet seist Du auch, dass Du in Deiner großen Weisheit unser liebes Kind auf den Weg dieses lieben Vorgesetzten gebracht hast. O mach, dass die wunderbare Begegnung dieses Abends für unseren lieben Adrien zu einer immer sprudelnden Quelle von Segnungen werde und dass er in ihr immer neue Gelegenheiten zu moralischem Aufstieg und geistiger Bereicherung finde. Amen.«
Um mich von Mutter Deume zu erholen, werde ich dem lieben Pastor Georges-Émile Delay in Cuarnens im Kanton Waadt schreiben, der ein Mann von vollkommener Reinheit und Güte ist, ein wahrer Christ, ein Bruder. Mein christlicher Bruder, so nenne ich ihn insgeheim.
XX
»Gehen wir in den Salon«, sagte Frau Deume vornehm und raffte ihr knisterndes und mit Brokat besetztes Taftkleid zusammen.
»Ja, gehen wir in den Salon«, wiederholte ihr kleiner Gemahl, der ihr, die Hände hinter dem Rücken, leicht humpelnd folgte, seinerseits gefolgt von Adrien.
Sie nahmen Platz, und Frau Deume entfernte sofort, mit Hilfe diverser Zwitscherlaute, die Schinkenreste, die sich zwischen ihren Zähnen angesammelt hatten. Dann fragte sie nach der Zeit. Die beiden Männer holten ihre Uhren hervor, und Adrien sagte, es sei neun Uhr zwanzig. Herr Deume stellte seine Zwiebeluhr um eine Minute zurück.
»Er hat mir ausdrücklich gesagt, er wäre Punkt zehn Uhr hier«, verkündete Frau Deume nochmals.
»Also in vierzig Minuten«, sagte Herr Deume.
»Es war eine gute Idee, dass ich Martha gezwungen habe, sich mit der Brennschere ein paar Löckchen zu drehen«, sagte Frau Deume. »Mit ihrer Batistschürze und dem dazu passenden Häubchen sieht sie ganz präsentabel aus. Zum Glück habe ich die Eingebung gehabt, gleich zwei Zofenschürzen zu kaufen. Sonst hätte uns diese dumme Gans mit ihrem Nasenbluten in eine schöne Verlegenheit gebracht! Aber so ist ja alles noch mal gut gegangen.«
Ja, alles war vorhergeplant worden. Man hatte Martha gehörig gedrillt und sie alle Anweisungen noch einmal wiederholen lassen. Man hatte
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