Die Schöne des Herrn (German Edition)
Reinigung ihrer Zähne vollendet und sich erneut die abscheulichen Ränder ihrer Fingernägel mit Hippolytes Taschenmesser ausgekratzt hatte, verspürte sie das Bedürfnis nach einer gepflegteren Konversation, wie sie der Uhrzeit angemessen war. Sie lutschte an Pfefferminzpastillen, deren Duft sich wie eine Wolke im Zimmer verbreitete, und sprach von einem »so wunderbar geschriebenen« Buch mit dem Titel
Geschichte meines Lebens
, das sie bewusst gut sichtbar auf einen der kleinen Rolltische gelegt hatte, die sie »Servierboys« zu nennen pflegte. Jetzt öffnete sie dieses der Feder der Königin Marie von Rumänien entsprungene Werk und las laut einen Satz vor, der sie sehr beeindruckt hatte: »Gesegnet, dreimal gesegnet sei die Gabe, die Gott mir gegeben hat, nämlich die Schönheit der Dinge tief zu empfinden und mich daran zu erfreuen!«
»Ist das nicht höbsch? Und so fein ausgedrückt!«
»Ja, das ist wahr, sehr fein ausgedrückt«, sagte Herr Deume.
»Schließlich ist es von einer Königin, mein Lieber, das sagt alles.«
Sie lächelte hold und versonnen, denn sie fühlte sich mit der Königin von Rumänien solidarisch, zumal der Herr Untergeneralsekretär bald kommen würde, eine hohe Persönlichkeit, die von dieser lieben Königin mit Sicherheit empfangen worden war, mit der sie folglich, sozusagen durch eine Drittperson, in gewisser Weise ebenfalls verkehrte. Kurz, sie fühlte sich heute Abend dem gleichen Mijöh zugehörig. Anschließend sprach man von einem Foto, das sie in einer Illustrierten gesehen hatte, von einer anderen Königin, die sich während einer offiziellen Zeremonie nicht gescheut hatte, ihren Fuß halb aus dem Schuh zu ziehen, um ihn auszuruhen. Wie eine ganz gewöhnliche Frau! Nicht zu fassen!
Schließlich ließ sich Frau Deume von einer dritten Königin fast zu Tränen rühren, die unbedingt einmal in einem Autobus fahren wollte, einfach um es auszuprobieren, da sie noch nie in einem Autobus gesessen hatte! Im Autobus, eine Königin, die sich Karossen und Luxusautos leisten konnte, im Autobus, was für eine höbsche Geschichte! Nein, wirklich zu höbsch! Und die englischen Königskinder, die mit der Untergrundbahn fahren wollten, um zu sehen, wie das ist! Kleine Prinzen in der Untergrundbahn! »Zu süß!«, sagte sie gefühlvoll und lächelnd. »Und obendrein demokratisch«, erklärte Herr Deume. Frau Deume kam wieder auf die Königin im Autobus zurück und erzählte eine weitere rührende Anekdote von ihr.
»Als sie eine kleine Stadt besuchte, stellt euch vor, ging sie schnurstracks auf einen Stellvertreter des Bürgermeisters zu und schüttelte ihm freundlich die Hand, und dieser Mann war ein Krämer und ein Invalide, der in seinem Rollstuhl hinten hatte bleiben müssen. Sie hat sich die Mühe gemacht und ist zu ihm gegangen, obwohl er mehrere Meter von ihr entfernt war! Ein Krämer! Was für eine Herzensgüte! Wirklich rührend! Als ich das in der Zeitung gelesen habe, sind mir die Tränen gekommen! Sie soll einen magnetischen Charme haben, und diese Ungezwungenheit den Leuten aus dem Volk gegenüber! Ja, sie verdient ihre hohe Stellung wirklich! Wie übrigens alle Königinnen, sie sind alle so taktvoll und so mildtätig!«
Da der Vorrat an Königinnen erschöpft war, trat Schweigen ein. Man hüstelte, man räusperte sich. Dann sah Adrien auf seine Uhr. Neun Uhr siebenunddreißig. »Noch dreiundzwanzig Minuten«, sagte Herr Deume, ein nervöses Gähnen unterdrückend. Na ja, dachte er, der Besuch dieser hohen Persönlichkeit – dieses Individuums, verbesserte er sich, um sich zu rächen – würde sicher nicht länger als bis Mitternacht dauern, und dann würde man in aller Ruhe schlafen gehen können, ohne schreiend Konversation machen zu müssen, um mondän zu wirken, und ohne dieses oder jenes daherzuplappern, in der Erwartung, dass das Individuum das Wort an einen richte. Plötzlich gab Frau Deume Adrien einen leichten Schlag auf das Knie.
»Hör mal, Didi, erzähl uns doch etwas über diesen Herrn, ich meine, über sein Privatleben und seinen Charakter, damit wir uns schon ein wenig kennenlernen. Zunächst einmal, ist er gläubig?«
»Das weiß ich nun wirklich nicht. Ich weiß nur zwei Dinge, die beweisen, dass er ein toller Kerl ist. Castro hat es mir erst heute früh erzählt, und ich muss es auch Ariane erzählen, denn Lady Cheyne hat es Castro erzählt, der in ihrem Hause verkehrt, also muss es wahr sein. Übrigens muss ich Castro in den nächsten Tagen auch einmal
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