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Die Schöne des Herrn (German Edition)

Die Schöne des Herrn (German Edition)

Titel: Die Schöne des Herrn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Cohen
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einladen, er ist ein Mann mit Lebensart und sehr kultiviert.«
    »Und was sind das nun für zwei Dinge?«
    »Erstens der Brand in diesem Hotel in London. Wie es scheint, hat er unter Lebensgefahr zwei Damen aus den Flammen gerettet.«
    »Ach, wie höbsch!«, rief Frau Deume. »Oh, dann ist er bestimmt gläubig!«
    »Und dann hier in Genf, da gab es eine arme Zwergin, die auf der Straße Gitarre spielte, eine Bettlerin, und stellt euch vor, er hat sie aus dem Elend gezogen, ihr eine kleine Wohnung gemietet, und anscheinend bezahlt er ihr eine kleine Rente, und jetzt bettelt sie nicht mehr und hilft freiwillig bei der Heilsarmee. Er hat also das Leben dieses armen Mädchens völlig verändert.«
    »Ich habe das Gefühl, dass wir uns verstehen werden!«, rief Frau Deume.
    »Angeblich sieht man sie manchmal zusammen spazieren gehen, er sehr groß, und sie ganz klein, mit krummen Beinen und in der Uniform der Heilsarmee.«
    »Ein großartiger Mann«, sagte Herr Deume und strich seinen Schnurrbart nach unten. »Nicht wahr, Antoinette?«
    »Ich bin schon immer für Barmherzigkeit gewesen«, sagte sie. »Nur finde ich, dass er sich in seiner Position nicht mit einem Geschöpf sehen lassen sollte, das seinem Rang nicht entspricht, noch dazu mit einem Mädchen, das gebettelt hat.«
    Der kleine Alte summte leise vor sich hin, um sich zu beschäftigen, zog dann eine billige, schmale und schwarze Zigarre aus der Westentasche seines Smokings und schickte sich an, sie anzuzünden, nicht etwa, weil er Lust zu rauchen hatte – er war angesichts der bevorstehenden Begrüßungszeremonie zu verwirrt –, sondern um sich eine gewisse Haltung zu geben, wenn der Gast eintreten würde. Seine Frau nahm ihm die Zigarre jedoch sofort aus dem Mund und verschloss sie in einer Schublade.
    »Eine Brissago, das wirkt ordinär.«
    »Aber ich rauche doch jeden Abend eine nach dem Essen!«
    »Genau das sollst du nicht tun, denn das sieht nach kleinem Postbeamten aus. Adrien, du wirst das Gespräch auf die
Geschichte meines Lebens
bringen, auf das Buch Ihrer Majestät, der Königin von Rumänien, und dann vielleicht auch auf den verehrten Doktor Schweitzer. Das ist ein Thema für mich. Ach, die Eisbombe!«, rief sie plötzlich übergangslos.
    »Was willst du damit sagen, Mammi?«
    »Man könnte ihm die Tuttifrutti-Bombe anbieten!«
    »Aber Mammi, das geht nicht, man kann doch nicht um zehn Uhr abends eine Eisbombe anbieten. Wie sieht das denn aus?«
    »Ja, natürlich, du hast recht, Didi. Aber es ist ein Jammer, denn bis morgen Abend wird sie sich nicht halten und ganz zusammengeschmolzen sein, trotz des Kühlschranks. Wir sollten einen Kühlschrank mit Tiefkühlfach kaufen, falls man unseren für einen guten Preis in Zahlung nimmt. Weißt du was, Hippolyte, geh und sag Martha, sie kann so viel Eis essen, wie sie will, das wird dem armen Mädchen Freude machen, und außerdem ist es eine gute Tat.«
    Herr Deume beeilte sich, Martha die gute Nachricht mitzuteilen. Aber auch er stopfte sich in der Küche so eilig und so gründlich mit Eisbombe voll, dass er vor Kälte zitterte. In den Salon zurückgekehrt, verbarg er sein Zittern und traute sich, Antoinette zu fragen, ob er ein Gläschen Kognak trinken dürfe, »denn ich habe irgendwie so ein Kältegefühl, ich weiß auch nicht, warum«.
    Um neun Uhr fünfzig hielt Frau Deume es für ratsam, sich in ihr Zimmer zu begeben, um ihre Hässlichkeit aufzufrischen. Nachdem sie ihre beiden Haarbänder mit Brillantine mit Heliotrop eingerieben hatte, trug sie mit einem Wattebausch weißen Carina-Puder auf ihr Gesicht auf, einen Puder, den sie nur bei großen Anlässen verwendete und den sie in dem Geheimfach ihres Schreibtisches aufbewahrte. Anschließend tupfte sie sich ein paar Tropfen Floramye, eines vierzig Jahre alten Parfums, hinter die Ohren. Verführerisch und erfrischt ging sie hinunter und betrat moralisch, gesellig und duftend und mit dem schmerzlichen Ausdruck vornehmer Würde den Salon.
    »Wie spät?«, fragte sie.
    »Neun Uhr siebenundfünfzig«, sagte Adrien.
    »In drei Minuten«, sagte Herr Deume, steifer als eine Kerze.
    Jetzt warteten sie und trauten sich nicht, einander anzublicken. Um die Leere auszufüllen, ließ man von Zeit zu Zeit einen falsch klingenden Satz über die Temperatur, über die Qualität der Wasserspülung auf der unteren Toilette, seit sie repariert worden war, oder über die jeweiligen Vorzüge des China- oder Ceylontees vernehmen, von denen der eine ein vornehmeres Aroma

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