Die schöne Diebin
hatte ihr erstes Ziel in Manchester noch nicht erreicht, als das Gefühl sie beschlich, beobachtet zu werden. Unauffällig schaute sie sich um. Auf der Straße herrschte reger Betrieb. Nichts Auffälliges war zu entdecken. Dennoch war sie sich jetzt ganz sicher, dass irgendwer in der Menge sich für sie interessierte. Sie musste vorsichtig sein!
Vor dem Laden eines Gemüsehändlers blieb sie stehen und versuchte herauszufinden, wer ihr folgte. Die Frau mit den drei kleinen Kindern war völlig unverdächtig. Ebenso der Straßenkehrer, der seinen Arbeitsplatz nicht einfach würde verlassen können. Dann war da noch der Kutscher, der frierend auf dem Bock einer Mietdroschke hockte und auf den nächsten Kunden wartete. Außerdem verschiedene Männer unterschiedlichen Alters, die alle in großer Eile zu sein schienen. Keiner von ihnen beachtete die alte Jungfer, die die dicken Kohlköpfe zu begutachten schien, die in einer Kiste vor dem Laden standen.
Und dann sah sie ihn! Stockport! Schon war er wieder in der Menge verschwunden, aber Nora hätte schwören mögen, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Der Earl war ihr auf den Fersen.
Langsam ging sie weiter. Dabei sagte sie sich, dass es alle möglichen Gründe für Stockport geben konnte, sich in Manchester aufzuhalten. Er war ein viel beschäftigter Mann mit weit gestreuten Interessen. Warum hätte er seine Zeit darauf verwenden sollen, eine alte Jungfer zu beobachten, die in bescheidenen Verhältnissen lebte?
An einer lebhaften Kreuzung blieb sie stehen und nutzte die Gelegenheit, sich noch einmal nach dem Earl umzuschauen. Ja, da war er. Ein ganzes Stück hinter ihr, aber doch nah genug, dass sie ihn erkennen konnte. Was, um Himmels willen, hatte er in dieser Straße zu tun? Hier gab es nur Bäckereien, Gemüsegeschäfte, Kolonialwarenläden, Metzgereien und Ähnliches. Keine Gegend für einen Aristokraten, der seine Bediensteten hatte, die sich um Lebensmitteleinkäufe kümmerten.
Nora überlegte, wie sie sich Klarheit über Stockports Absichten verschaffen könnte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ja, das ist eine Möglichkeit! dachte sie. So konnte sie tun, was sie sich vorgenommen hatte, ohne ihm irgendwelche Anhaltspunkte für ihre wahren Absichten zu liefern. Gleichzeitig konnte sie überprüfen, ob er wirklich ihretwegen in Manchester war.
Sie überquerte die Straßen und steuerte auf ihr erstes Ziel, eine Bäckerei, zu.
„Guten Tag, Mr. Harlow“, grüßte sie den Besitzer mit Eleanors nasaler Stimme. „Ich bin hier, um ein paar von Ihren hervorragenden Rosinenbrötchen zu kaufen. Hattie wäre so enttäuscht, wenn ich ohne ihr Lieblingsgebäck nach Hause käme!“
Mr. Harlow erkundigte sich nach ihrer Gesundheit und ließ sich dann von ihr erzählen, was es in Stockport-on-the-Medlock Neues gab. Schließlich packte er die Brötchen ein, und Nora trat ans Fenster.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand der Earl. Gerade steckte er einem Zeitungsverkäufer ein paar Münzen zu. Dann rollte er die soeben erstandene Zeitung zusammen, ohne einen einzigen Blick hineingeworfen zu haben.
Nun, dachte Nora, wenn er tatsächlich auf mich wartet, wird er kalte Füße bekommen.
In der Bäckerei war es angenehm warm, und es gab noch manches, worüber sie mit Mr. Harlow plaudern konnte.
Brandon wurde langsam ungeduldig. Während er von einem Fuß auf den anderen trat, um die Durchblutung seiner eiskalten Füße anzuregen, unterhielt Miss Habersham sich angeregt mit dem Ladenbesitzer. Manchmal gestikulierte sie aufgeregt. Was, um Himmels willen, machte sie nur so lange in der Bäckerei? Er kämpfte gegen den Wunsch an, noch einmal auf die Uhr zu schauen. Er würde dann nur noch mehr frieren. Denn um die Taschenuhr zu erreichen, die in seiner Westentasche steckte, musste er die Handschuhe ausziehen und den Mantel öffnen.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, aber auch das half nicht gegen die Kälte. Vielleicht hätte er sich noch wärmer anziehen sollen. Aber er war in Eile gewesen. Schließlich hatte er erst an diesem Morgen zufällig von Squire Bradley erfahren, dass Miss Habersham nach Manchester fahren würde.
Eigentlich hatte er geschäftliche Dinge mit dem Squire besprechen wollen. Doch als dieser erwähnte, dass seine Gattin gemeinsam mit den Töchtern und Miss Habersham einen Ausflug in die Stadt plante, hatte er seine Pläne geändert. Vielleicht bot sich ihm gerade jetzt die Möglichkeit herauszufinden, ob eine Verbindung zwischen
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