Die schöne Diebin
als Köder gedacht. Sobald die Diebin ihm sein Eigentum zurückerstattet hätte, würde er den Wachen, die er zu ihrer Ergreifung engagiert hatte, das verabredete Zeichen geben. Die Katze würde hinter Gitter wandern.
Sie hatte dem Konto ihrer Verbrechen in den letzten Tagen noch einige Untaten hinzugefügt. Mehrere erfolgreiche Einbrüche bei Männern, die den Bau der Textilfabrik unterstützten, hatten dazu geführt, dass alle Welt über The Cat sprach. Einige sahen in dem Dieb einen furchtlosen Mann – einen Engel fast –, der die Armen unterstützte. Es gab Geschichten darüber, wie viele Kranke er mit Medizin und wie viele Hungernde er mit Lebensmitteln versorgte. Seine Gegner allerdings beschimpften ihn als einen unverschämten Schurken, der den Galgen verdient hatte.
Brandon war sich nicht sicher, welcher Überzeugung er selbst zuneigte. Einerseits konnte er nicht leugnen, dass er die Einbrecherin faszinierend und ihr Ziel, den Armen zu helfen, lobenswert fand. Andererseits war er mit der Art, auf die das Geld für jene Hilfe beschafft wurde, nicht einverstanden. Diebstahl war Diebstahl – oder nicht? Widerwillig war er zu dem Schluss gekommen, dass The Cat für ihn Heilige und Sünderin zugleich war.
Zu seiner Überraschung (und zu seinem nicht geringen Ärger) hatte er feststellen müssen, dass morgens sein erster Gedanke der temperamentvollen, klugen Diebin galt, die so gut küssen konnte. Wie gern hätte er mehr über sie gewusst! Er, der sich nie für Klatsch interessiert hatte, spitzte die Ohren, sobald irgendwo über The Cat gesprochen wurde. Er suchte in der Zeitung nach Berichten über ihre Taten. Er hatte sogar überlegt, Miss Habersham einen weiteren Besuch abzustatten, sich dann jedoch vorgeworfen, dass er sich schon fast wie ein Besessener benahm. Es war besser, wenn er sich zurückhielt.
Manchmal durchzuckte ihn die jähe Furcht, die Katze könne erwischt worden sein. Dabei wollte er doch selbst, dass sie für ihre Verbrechen büßte. Zuvor aber wollte er Gelegenheit haben, noch einmal mit ihr zu sprechen. Es gab so viele Fragen, die nur sie beantworten konnte.
Oft schalt er sich einen Dummkopf, weil er des Nachts von einer schlanken, ganz in Schwarz gekleideten Gestalt mit einer Halbmaske träumte. Schlimmer noch war, wie oft er nach Einbruch der Dunkelheit sein Schlafzimmer aufsuchte, nur um sich davon zu überzeugen, dass The Cat dort nicht auf ihn wartete. An solchen Abenden schaute er sich um, seufzte tief auf und stieg enttäuscht die Treppe zur Bibliothek hinunter, wo er dann vergeblich versuchte, sich auf eine seiner vielen Aufgaben zu konzentrieren.
Verflixt, nie zuvor hatte eine Frau ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht wie die Katze!
Er sehnte sich danach, sie wiederzusehen. Und jetzt, auf dem Ball des Squires, würde sein Wunsch in Erfüllung gehen. Sie hatte ihr Erscheinen angekündigt. Wahrscheinlich befand sie sich bereits im Haus. Er musste sie entdecken, ehe sie ihn fand!
Nora stand auf der anderen Seite des Ballsaals und lächelte. Ihr war nicht verborgen geblieben, wie sehr Stockport darauf brannte, sie zu sehen – auch wenn er sich bemühte, es nicht zu zeigen. Tatsächlich hatte er sich gut im Griff. Es waren nicht suchende Blicke, sondern die kleinen Anzeichen von Erregung, die ihn verrieten. Zum Beispiel trommelte er immer wieder mit den Fingern auf seinen Oberschenkel. Wahrscheinlich genoss er den Ball nicht besonders.
Dabei war es ein wirklich amüsanter Abend. Nora freute sich über jeden Tanz, zu dem sie aufgefordert wurde. Mühelos war sie in die Rolle einer jungen, lebenslustigen Frau geschlüpft, die die bewundernden Blicke der Gentlemen auf sich zog. Sie trug eine Ballrobe, die sie mit Hatties Hilfe selbst genäht hatte. Das heißt, die Freundinnen hatten das nicht besonders geschmackvolle Kleid, das sie von der Besitzerin eines Freudenhauses erhalten hatten, so abgeändert, dass es hübsch und elegant wirkte. Jetzt passte es wunderbar zu Adelaide Cooper, der Tochter eines angeblich an der geplanten Textilfabrik interessierten Investors, die Nora eigens für diesen Ball erfunden hatte.
„Miss Cooper …“, ein junger Mann verbeugte sich vor ihr, „… darf ich Sie um den nächsten Tanz bitten?“
Es war Frederick, der Sohn des Squires, ein gutmütiger Bursche, der seinem Vater sehr ähnlich sah. Nora nickte lächelnd und folgte ihm auf die Tanzfläche. Gerade stimmten die Musikanten eine flotte Polka an.
„Wer ist der Mann, der dort an der
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