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Die schöne Diebin

Die schöne Diebin

Titel: Die schöne Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BRONWYN SCOTT
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nur dabei gedacht, als ich ihn aufforder te, mich heute zu begleiten? Ich muss für einen Moment den Verstand verloren haben …
    Tatsächlich legten sie die wenigen Meilen bis zur Stadt rasch und ohne Zwischenfälle zurück. Die Straße führte sie zu einem der eleganten Vororte. Hier, in Ardwick, waren nur wenige Leute unterwegs.
    Nora hatte damit gerechnet, dass es auf den Straßen ruhig sein würde. Deshalb hatte sie nicht an einem der Tage vor Weihnachten kommen wollen, wenn alle Welt auf den Beinen war. Vor den Feiertagen wäre es mühsam gewesen, sich mit dem schwer beladenen Fuhrwerk einen Weg durch die belebten Straßen zu bahnen. Jetzt jedoch versperrten keine anderen Fahrzeuge ihnen den Weg. Niemand beachtete den von einem einzelnen Pferd gezogenen Wagen, auf dessen Kutschbock ein attraktiver Mann neben einer Frau saß, die ihr Gesicht hinter einem Schleier verbarg.
    Einige Wohnungen waren erleuchtet. Hinter den Fenstern konnte Nora festlich gekleidete Familien erkennen, die gemeinsam Weihnachten feierten. Manchmal wehte der Wind ihr den Duft von Gänsebraten oder von Roastbeef in die Nase. Irgendwo sang jemand ein Weihnachtslied. Alles wirkte friedlich, ja, beinahe idyllisch. Wenn in den Fabriken nicht gearbeitet wurde, war Manchester völlig verändert.
    Nach einer Weile wurden die Straßen schmaler. Nora dirigierte Stockport zu einem Viertel, in dem kleine, an diesem Tag geschlossene Geschäfte das Stadtbild beherrschten. Dann waren die ordentlich ausgebauten Straßen plötzlich zu Ende. Große Löcher zeigten sich zwischen zerbrochenen Pflastersteinen. Sie hatten das erste der Elendsviertel erreicht.
    Hier herrschte keine festliche Stimmung. Es gab keine appetitanregenden Düfte und keine singenden Stimmen. Ab und zu war das Schreien hungriger Babys zu hören oder das Schimpfen von Männern, die ihren Zorn über die Ungerechtigkeit des Lebens an allem und jedem ausließen.
    Aus den Augenwinkeln warf Nora dem Earl einen Blick zu. Sie wollte wissen, wie er auf diese Umgebung reagierte.
    Er hatte die Zähne zusammengebissen und wirkte extrem angespannt.
    Das sollte er auch sein, denn hier droht einem wohlhabenden Gent leman wie ihm echte Gefahr.
    Glücklicherweise war er klug genug gewesen, einfache Kleidung zu wählen. Weder sein Mantel noch die Reithose oder der Hut waren dazu angetan, unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zweifellos war alles, was der Earl trug, von guter Qualität. Doch die Farben waren unauffällig, und nur wer genau hinschaute, bemerkte, wie teuer jedes einzelne Teil gewesen war.
    „Nach links“, sagte Nora. Gleich würden sie ihr erstes Ziel erreichen. Sie befanden sich jetzt in Hulme, einem ehemals ruhigen Stadtteil, der sich rasant verändert hatte, als sich die ersten Fabriken in der Gegend ansiedelten. Die neue Technik war vielfach auf Wasserkraft angewiesen, und hier gab es viele kleine Flüsse, wie zum Beispiel Medlock, Irwell und Cornbrook, ein idealer Standort für die moderne Industrie also.
    „Wir halten dort drüben. Am liebsten wäre es mir, wenn Sie beim Wagen warten würden, während ich den Leuten Bescheid gebe.“
    Skeptisch schaute Brandon sich um. „Haben Sie keine Angst, sich allein in eines dieser Häuser zu wagen?“
    „Keine Sorge, ich bin hier vollkommen sicher. Wer hier lebt, verehrt die Katze.“
    Natürlich gab es auch Ausnahmen. Vor ein paar Monaten hatte eine Gruppe junger Männer versucht, Lebensmittel vom Wagen zu stehlen. Vergeblich. Die anderen Einwohner hatten eingegriffen und ihnen eine Lektion erteilt.
    Brandon musterte die verschleierte Gestalt nachdenklich. „Sie werden also verehrt wie eine Königin von ihren Untertanen …“
    „Unsinn!“, fuhr Nora auf. „Niemals würde ich mich benehmen wie eine Königin. Ich beherrsche diese Leute nicht. Ich versuche es nicht einmal. Ich sorge für sie – was mehr ist, als die meisten Herrscher von sich behaupten können. Sie wissen selbst, Mylord, wie oft die Mächtigen die Schwachen ausnutzen.“ Ihr Ton war plötzlich bitter geworden. Sie stieg vom Kutschbock und eilte auf den Eingang des am schlimmsten vernachlässigten Mietshauses zu.
    Kurze Zeit später kam sie mit zwei halbwüchsigen Jungen zurück. Einer sollte auf das Pferd aufpassen, der andere sollte helfen, die gepackten Körbe ins Haus zu tragen.
    Stockport scheint erleichtert, sie zu sehen, dachte Nora. Vermutlich hatte er sich weniger Sorgen um sie als um seine eigene Sicherheit gemacht. Dabei wirkte er keineswegs wehrlos

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