Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schöne Diebin

Die schöne Diebin

Titel: Die schöne Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BRONWYN SCOTT
Vom Netzwerk:
Tochter ernähren? Wovon sollte sie die Miete bezahlen? Wie konnte die Wohnung warm gehalten werden? Michael, mit elf Jahren das älteste der Kinder, hatte schon vor Jahren Arbeit in der Hutfabrik gefunden. Doch das Einkommen eines Kindes reichte natürlich bei Weitem nicht aus, um eine vierköpfige Familie zu unterhalten.
    Bisher hatte Mary sich geweigert, auch Robert arbeiten zu lassen. Er war sechs und hätte wahrscheinlich eine Anstellung in einer der Textilfabriken finden können. Viele Kinder wurden dort beschäftigt, zum Beispiel um die Baumwollreste einzusammeln, die unter die Maschinen fielen. Das war eine überaus gefährliche Arbeit, bei der es immer wieder Verletzte und Tote gab, denn wer nicht schnell genug war, ging das Risiko ein, von den Maschinen zerquetscht zu werden.
    Bei dem Gedanken daran, erschauerte Nora. Sie fühlte sich dafür verantwortlich, den kleinen Robert vor einem so grausamen Schicksal zu bewahren.
    Einen Moment lang schloss sie hinter ihrer Maske die Augen und schickte ein stummes Gebet zum Himmel. Gott, bitte zeig mir einen Weg, wie ich den Malones helfen kann.
    Kurz wandten ihre Gedanken sich den dreihundert Pfund zu, die sie in Stockports Rocktasche gefunden hatte. Wie viel Gutes hätte sie mit dieser Summe tun können! Aber das Geld gehörte nicht ihr. Die Vereinbarung, die sie mit dem Earl geschlossen hatte, besagte, dass er seinen Ring zurückbekommen würde, wenn er sie nach Manchester begleitete. Da er das getan hatte, musste sie ihm natürlich seinen gesamten Besitz, also auch die dreihundert Pfund, zurückerstatten. Wenn sie sich anders verhielt, würde sie Stockport nur in seiner schlechten Meinung von ihr bestärken.
    Der Eintopf begann zu dampfen, und Nora fragte Anna, ob sie ihr beim Tischdecken helfen wolle. Begeistert stellte das kleine Mädchen Suppenschalen auf das einfache Tischtuch, das The Cat zur Feier des Tages mitgebracht hatte. Die Jungen hatten ihre Aufgaben erledigt und spielten – Nora wollte ihren Augen nicht trauen – mit Stockport.
    Fasziniert beobachtete sie die drei einen Moment lang. Das dunkle Haar des Earls sah ungewohnt wirr aus, und auch seine Kleidung hatte gelitten. Aber er lächelte so unbeschwert, als sei er selbst wieder ein Kind.
    Dann bemerkte er, dass sie zu ihm hinschaute. Er beugte sich zu den Jungen hinab und flüsterte ihnen etwas zu, das sie zum Lachen brachte.
    Rasch wandte Nora sich wieder dem Tisch zu. Nachdem sie zwei zusätzliche Kerzen angezündet hatte, rief sie: „Das Essen ist fertig!“
    Die Kinder stürzten herbei und setzten sich auf die Kisten, die als Stühle dienten. Ihre Augen verrieten, wie hungrig sie waren. Stockport stützte Mary, die sehr schwach war. Glücklicherweise gab es einen Lehnstuhl, in dem sie Platz nehmen konnte. Für die Besucher standen zwei Schemel bereit.
    Nora füllte für jeden eine Schale mit der appetitlich duftenden Gemüsesuppe, die Hattie zubereitet hatte. Dazu gab es selbst gebackenes Brot und sogar etwas Butter.
    „Oh, Milch!“, rief Anna begeistert, als sie ihren Becher an den Mund hob.
    „Wer soll das Gebet sprechen?“, fragte Mary.
    „Brandon!“, erklärten die Jungen wie aus einem Mund.
    Stockport war überrascht, erfüllte ihren Wunsch aber mit großem Ernst. Dann endlich, als alle laut „Amen“ gesagt hatten, konnte das Festmahl beginnen.
    Niemand sprach. Zu sehr waren alle darauf konzentriert, sich den Eintopf schmecken zu lassen. Selbst der Earl schien die einfache Mahlzeit zu genießen.
    Nora warf ihm heimlich einen Blick zu – und war verloren. In dieser fremden Umgebung wirkte er völlig verändert. Tatsächlich erinnerte er sie mit seinen breiten Schultern, dem ernsten Gesicht und dem dunklen Haar an den Erzengel Michael. In der Kathedrale von Manchester hatte sie ein Gemälde des Gottesboten gesehen, das ihn darstellte, wie er Gerechtigkeit in die Welt brachte.
    Ihr Herz schlug plötzlich schneller. Bestimmt wird er einmal ein guter Vater sein, dachte sie. Und erschrak. Wie konnte sie sich nur solch unsinnigen Gedanken hingeben? Sie war doch sonst nicht so sentimental. Nun, vermutlich lag es an der ungewöhnlich friedlichen Stimmung, daran, dass Weihnachten war .
    In diesem Moment lächelte Brandon ihr zu.
    Sie konnte nicht anders. Sie lächelte zurück. War es nicht fast so, als würden sie zusammengehören?
    Der Tagtraum endete, als der Topf geleert war und alle gesättigt waren. Brandon erbot sich, mit den Jungen zu spülen, und Nora erledigte, während Mary ein

Weitere Kostenlose Bücher