Die schöne Diebin
wenig mit ihrer Jüngsten schmuste, die anderen Arbeiten. Schließlich gab es noch ein kleines Geschenk für jedes Kind. Dann galt es aufzubrechen.
„Ich werde dafür sorgen, dass ihr Ende der Woche noch ein paar Lebensmittel bekommt“, sagte Nora zum Abschied.
„Ich bin sehr dankbar für alles“, meinte Mary und stieß einen kleinen Seufzer aus, „aber ich wünschte dennoch, ich wäre nicht auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen.“ Dann beugte sie sich zu der noch immer maskierten Nora hinüber und flüsterte: „Ihr Begleiter ist ein netter Mann. Und wie verliebt er Sie manchmal anschaut!“
„Unsinn!“, wehrte Nora ab. „Wir sind kein Paar.“
Mary lächelte so, als glaube sie kein Wort.
7. KAPITEL
Brandon ließ The Cat nicht aus den Augen, während sie sich von den Kindern verabschiedete. Anna hatte sich an ihren Rock gehängt und wollte sie nicht gehen lassen. Lächelnd und mit ein paar freundlichen Worten löste Nora die kleinen Hände und wandte sich zur Tür.
Er war beeindruckt. Was er erlebt hatte, war sehr aufschlussreich gewesen. Und überraschend angenehm. Er hatte die Zeit mit den Malone-Kindern genossen. Mehr aber noch das Zusammensein mit ihrer Wohltäterin.
Die scharfzüngige Diebin hatte sich als mitfühlende Frau entpuppt, die mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, den Bedürftigen zu helfen versuchte. Dass er ihr noch kurz zuvor unterstellt hatte, aus Eigennutz zu handeln, bereitete ihm jetzt Gewissensbisse. Er schämte sich, wenn er die Selbstverständlichkeit, mit der er jeden Überfluss genoss, mit dem wenigen verglich, das genügte, um die Menschen in den Elendsvierteln glücklich zu machen.
War es nicht seine Pflicht, von all dem, das er besaß, auch etwas abzugeben, um den Ärmsten der Armen zu helfen?
Wie würde The Cat darauf reagieren? Er fand sie faszinierender als je zuvor. Er wollte ihr Geheimnis um jeden Preis lösen. Er brannte darauf, herauszufinden, wer sich hinter dieser Maske verbarg. Aber all seine Bemühungen, die Identität der schönen Einbrecherin zu lüften, waren bisher vergeblich gewesen. Sie hatte ihm nicht genug Vertrauen geschenkt, um ihr Inkognito zu lüften.
Was würde ich tun, wenn ich wüsste, wer sie ist?
Das war eine Frage, die er nicht beantworten konnte. Es wäre seine Pflicht gewesen, sie verhaften zu lassen. Noch zu Beginn des Weihnachtsballs bei Squire Bradley war er fest entschlossen gewesen, genau das zu tun. Wenn sein Plan aufgegangen wäre, dann hätten viele Menschen auf die Gaben verzichten müssen, die The Cat ihnen heute gebracht hätte. Vielen Kindern wäre das Glück verwehrt geblieben, ein kleines Geschenk – das einzige, das sie erhielten – auszupacken. Mary Malone, Anna, Michael und Robert hätten gehungert.
Und ich hätte die Verantwortung dafür getragen.
Gemeinsam traten sie in die Kälte hinaus. „Sie haben dieser kleinen Familie etwas ganz Besonderes geschenkt“, sagte er leise.
„Mehr als einen kurzen Augenblick des Glücks haben die vier nicht erlebt“, entgegnete sie. Tiefe Trauer sprach aus ihren Worten. „Ich wünschte …“ Sie brach ab und zuckte hilflos die Schultern. Offenbar hatte sie das Gefühl, dass all ihre Bemühungen nicht ausreichten.
Er wollte ihr Mut zusprechen. „ Sie waren es, die Ihnen diesen Augenblick des Glücks gebracht hat, während so viele andere nichts getan haben.“
Himmel, wann ist in meiner Vorstellung aus der üblen Verbre cherin eine edle Heldin geworden? Unwillkürlich musste er lächeln. Wahrscheinlich irgendwann, während ich mit den Kindern spielte und sie die Suppe im Kessel umrührte. Und nun geht es mir nicht mehr darum, die Katze zu fangen, sondern darum, sie zu be schützen.
Sie drückte dem Jungen, der auf die Pferde und den Wagen aufgepasst hatte, eine Münze in die Hand und kletterte auf den Kutschbock. Brandon folgte ihr, und wie schon auf der Hinfahrt breitete er die Decken über ihre und seine Beine. Wahrhaftig, es war eine süße Qual, der Katze so nahe zu sein!
Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen. Er runzelte die Stirn. Wie schnell die Zeit vergangen war! Die engen Gassen des Elendsviertels würden sie noch hinter sich lassen können, ehe die Sonne vollständig verschwunden war. Doch die restliche Heimfahrt würden sie im Dunkeln zurücklegen müssen. Das bereitete ihm glücklicherweise keine große Sorge. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass ihnen ausgerechnet am Weihnachtsabend auf der kurzen Strecke nach
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