Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
ließ ihm keine Ruhe. Er fand es beachtlich, daß Marc die plötzliche Eingebung gehabt hatte, diesem Mann nachzulaufen. Marc war ziemlich gut, was plötzliche Eingebungen anging. Trotz seiner verborgenen Charakterzüge wie Entschlossenheit und auch einer gewissen Reinheit, die für jemanden, der ihn genau kannte, gut zu erkennen waren, schoß Marc in seinen analytischen Gedankenflügen bisweilen in alle Richtungen, doch seine exzentrischen Überlegungen und Launen konnten auch wertvolle Ergebnisse zeitigen. Er besaß engelhafte Geduld ebenso wie in anderen, unvorhersehbaren Augenblicken eine ganz handfeste Ungeduld. Auch auf Mathias konnte man sich verlassen, weniger als Analytiker denn als Sensor. Vandoosler sah den heiligen Matthäus wie eine Art Dolmen, einen massiven, statischen, heiligen Stein, der unwissentlich auch die kleinsten Ereignisse in sich aufnahm und dessen Granitstaub sich nach den Winden ausrichtete. Kompliziert zu beschreiben jedenfalls, weil er zugleich zu blitzschnellen Bewegungen, zu schnellem Rennen, zu Kühnheiten in sehr scharfsinnig vorherbestimmten Momenten fähig war. Lucien dagegen war ein Idealist, der über die gesamte Skala möglicher Extreme verfügte, von den schrillsten Tönen bis zu den brummendsten Bässen. In seiner kakophonischen Erregung kam es unvermeidlich zu Einschlägen und Kollisionen, aus denen dann ganz unerhoffte Funken sprühen konnten.
    Und Alexandra?
    Vandoosler zündete sich eine Zigarette an und ging wieder ans Fenster. Marc wollte das Mädchen, das war fast sicher, aber er war noch zu stark in den Erinnerungen an seine Frau verfangen, die abgehauen war. Vandoosler fiel es schwer, seinem Neffen in dessen Grundlinien zu folgen, er, der selbst nie mehr als ein paar Monate die für ein halbes Jahrhundert geleisteten Schwüre gehalten hatte. Was hatte er auch so oft schwören müssen? Das Gesicht der jungen Halbgriechin rührte ihn. Soweit er das richtig erkannte, tobte in Alexandra ein interessanter Kampf zwischen Verwundbarkeit und Unerschrockenheit, sie war voll wahrer und verborgener Gefühle, wildem und bisweilen stillem Trotz. Genau die Art glühendes Amalgam, das so weich wirkte und das er vor langer Zeit selbst in anderer Form gefunden und geliebt hatte. Und dann in einer halben Stunde fallengelassen hatte. Er sah sie noch vor sich, wie sie sich mit den Zwillingen auf dem Bahnsteig entfernte, bis sie nur noch drei kleine Punkte waren. Und wo waren sie jetzt, die drei kleinen Punkte?
    Vandoosler richtete sich auf und packte das Fenstergeländer. Seit zehn Minuten sah er überhaupt nicht mehr auf die Straße. Er warf seine Zigarette weg und ließ die nicht gerade kurze Liste der Argumente Revue passieren, die Leguennec gegen Alexandra anführte. Zeit gewinnen und neue Ereignisse abwarten, um das Ergebnis der Ermittlung des Bretonen hinauszuschieben. Vielleicht konnte dieser Dompierre dabei nützlich sein.
    Marc kam spät nach Hause, gefolgt von Lucien, der mit Einkaufen dran war und am Vorabend bei Marc zwei Kilo Langusten bestellt hatte, vorausgesetzt, sie wären frisch, und vorausgesetzt natürlich, der Diebstahl erschiene ihm machbar.
    »Es war nicht einfach«, sagte Marc und legte eine große Tüte mit Langusten auf den Tisch. »Gar nicht einfach. Genaugenommen habe ich die Tüte von dem Typen vor mir geklaut.«
    »Sehr geschickt«, bemerkte Lucien. »Auf dich kann man sich wirklich verlassen.«
    »Versuch’s doch das nächste Mal mit einfacheren Wünschen«, sagte Marc.
    »Genau da liegt mein Problem«, erwiderte Lucien.
    »Du hättest keinen sehr tüchtigen Soldaten abgeben, laß dir das gesagt sein.«
    Lucien unterbrach plötzlich seine kulinarischen Vorbereitungen und sah auf die Uhr.
    »Scheiße!« schrie er. »Der Krieg!«
    »Wieso, bist du eingezogen worden?«
    Fassungslos ließ Lucien sein Küchenmesser fallen.
    »Heute ist der 8. Juni«, rief er. »Große Katastrophe, meine Langusten... Ich hab heute abend ein Gedächtnisdiner, das darf ich nicht verpassen.«
    »Ein Gedächtnisdiner? Du bist ein bißchen durcheinander, mein Alter. Zu dieser Jahreszeit ist der Zweite Weltkrieg dran, außerdem war das am 8. Mai, nicht am 8. Juni. Du verwechselst alles.«
    »Nein«, erwiderte Lucien. »Natürlich sollte das WK-II-Diner am 8. Mai stattfinden. Aber wegen der historischen Bedeutung wollten sie zwei in Ehren ergraute WK-I-Veteranen dazu einladen, verstehst du. Aber einer der Alten wurde krank. Also haben sie den Abend wegen der Veteranen um einen Monat

Weitere Kostenlose Bücher