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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Mathias, jetzt Lucien. Mathias verstand er und war berührt. Aber Marc hätte nie gedacht, daß sich Lucien für etwas anderes interessieren könnte als für sich selbst und den Ersten Weltkrieg. Daß er sich interessieren und sich sogar einmischen könnte. Ganz entschieden täuschte er sich in letzter Zeit häufig.
    »Na und?« fragte Lucien. »Das scheint dich zu überraschen?«
    »Ja – das heißt, ich habe was anderes gedacht.«
    »Ich kann mir vorstellen, was du gedacht hast«, erwiderte Lucien. »Davon abgesehen ist es aber im Augenblick besser, zu zweit zu sein. Vandoosler und Mathias hier, du und ich dort. Einen Krieg gewinnt man nicht allein, du brauchst dir nur Dompierre anzusehen. Also, ich begleite dich. Archive kenne ich auch, und zu zweit kommen wir schneller voran. Läßt du mir noch Zeit, meine Tasche zu packen und der Schule Bescheid zu geben, daß ich gerade die nächste Grippe bekomme?«
    »Einverstanden«, sagte Marc. »Aber mach schnell. Der Zug fährt um 14 Uhr 57 von der Gare d’Austerlitz.

 
     
29
     
    Knapp zwei Stunden später schlenderten Marc und Lucien durch die Allee des Grands Ifs. In Dourdan wehte ein starker Nordwest, und Marc sog die Luft tief ein. Vor dem Haus mit der Nummer 12, das links und rechts des massiven Holztors von Mauern geschützt war, blieben sie stehen.
    »Hilf mir hoch«, sagte Marc. »Ich würde gern sehen, wie es bei Sophia aussieht.«
    »Ist das wichtig?« fragte Lucien.
    »Ich möchte es sehen, das ist alles.«
    Lucien stellte vorsichtig seine Tasche ab, sah sich um, ob niemand auf der Straße war, und verschränkte fest seine Hände.
    »Zieh deinen Schuh aus«, sagte er zu Marc. »Ich will nicht, daß du mir die Hände versaust.«
    Marc seufzte, zog einen Schuh aus, während er sich an Lucien festhielt, und stieg hinauf.
    »Siehst du was?« fragte Lucien.
    »Irgendwas sieht man immer.«
    »Und was?«
    »Das Anwesen ist groß. Sophia war wirklich reich. Hinter dem Haus geht es leicht den Hang hinunter.«
    »Wie sieht das Haus aus? Häßlich?«
    »Überhaupt nicht«, antwortete Marc. »Trotz des Schieferdachs ein bißchen griechisch. Lang und weiß, einstöckig. Sie hat es sicher nach eigenen Plänen bauen lassen. Komisch, die Fensterläden sind nicht mal zu. Warte. Nein, es liegt an den Holzgittern vor den Fenstern. Griechisch, ich sag’s ja. Eine kleine Garage und ein Brunnen. Der Brunnen ist das einzig Alte da drinnen. An heißen Tagen dürfte das recht angenehm sein.«
    »Kann ich loslassen?« fragte Lucien.
    »Wirst du müde?«
    »Nein, aber es kann jemand kommen.«
    »Du hast recht, ich komm wieder runter.«
    Marc zog seinen Schuh wieder an. Sie gingen die Straße entlang und lasen die Namen an den Türen oder Briefkästen, wenn welche dranstanden. Das war ihnen lieber als jemanden zu fragen, so blieb ihr Besuch so unauffällig wie möglich.
    »Da«, sagte Lucien nach etwa hundert Metern. »Der gepflegte kleine alte Kasten mit den Blumen davor.«
    Marc entzifferte das angelaufene Kupferschild: K. und J. Simeonidis.
    »Wir haben es«, sagte er. »Erinnerst du dich an unsere Abmachung?«
    »Halt mich nicht für blöd«, erwiderte Lucien.
    »Gut«, sagte Marc.
    Ein alter Mann mit schönen Gesichtszügen öffnete ihnen. Er musterte sie schweigend, während er auf eine Erklärung wartete. Seit dem Tod seiner Tochter waren viele vorbeigekommen, Polizisten, Journalisten und Dompierre.
    Lucien und Marc schilderten abwechselnd den Grund ihres Besuchs, wobei sie viel Freundlichkeit in ihre Stimme legten. Die Freundlichkeit hatten sie im Zug geplant, aber durch die Trauer, die auf dem Gesicht des alten Simeonidis lag, fiel sie ihnen noch leichter. Sie redeten behutsam von Sophia. Während sie erklärten, daß ihre Nachbarin Sophia ihnen einen persönlichen Auftrag erteilt habe, glaubten sie beinahe ihre eigene Lüge. Marc erzählte von der Sache mit dem Baum. Es gibt nichts Besseres als eine wahre Begebenheit, um eine Lüge daran aufzuhängen. Nach der Sache mit dem Baum habe sich Sophia trotz allem weiter Sorgen gemacht. Eines Abends, als sie sich auf der Straße noch unterhalten hatten, bevor sie zu Bett gingen, habe sie ihnen das Versprechen abgenommen, der Sache nachzugehen, wenn ihr je ein Unglück zustoßen solle. Sie habe kein Vertrauen in die Polizei gehabt und gesagt, die würden sie bei all den Vermißten sicher vergessen. Ihnen aber habe sie zugetraut, die Sache zu Ende zu bringen. Deshalb seien sie nun da und glaubten, aus Respekt und Freundschaft für

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