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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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kriegen wir raus, für welche Artikel Dompierre sich in diesem Wust interessiert hat.«
    »Das mache ich gerade«, bemerkte Marc. »Es sind begeisterte Kritiken. Sophia kam gut an. Sie hat uns gesagt, sie sei mittelmäßig gewesen, aber sie war wesentlich besser als das. Mathias hat recht. Was machst du denn? Komm her und hilf mir.«
    Lucien war gerade dabei, verschiedenes Zeug wieder in seiner Tasche zu verstauen.
    »Da haben wir’s«, sagte Marc plötzlich lauter. »Fünf Packen, deren Klammern vor kurzem abgezogen wurden.«
    Marc nahm drei davon, Lucien zwei. Sie lasen eine ganze Zeit lang. Die Artikel waren lang.
    »Hast du gesagt, die Artikel seien begeistert?« fragte Lucien. »Der hier jedenfalls geht gar nicht sanft mit Sophia um.«
    »Der hier auch nicht«, sagte Marc. »Er schlägt ordentlich zu. Das wird ihr nicht gefallen haben. Dem alten Simeonidis auch nicht. ›Armer Irrer‹ hat er an den Rand geschrieben. Und wer ist der arme Irre?«
    Marc suchte nach dem Namen.
    »Lucien«, sagte er, »der ›arme Irre‹ heißt Daniel Dompierre. Gibt dir das zu denken?«
    Lucien nahm Marc den Artikel aus der Hand.
    »Dann ist unser Dompierre, der Tote, vielleicht mit ihm verwandt? Ein Neffe, ein Cousin, ein Sohn? Vielleicht hat er deshalb etwas gewußt, was mit dieser Inszenierung zusammenhängt?«
    »Sicher irgend etwas in der Art. Da beginnt sich was abzuzeichnen. Und wie heißt dein Kritiker, der Sophia verreißt?«
    »René de Frémonville. Kenn ich nicht. Na ja, ich kenne mich mit Musik sowieso nicht aus. Warte, das ist ja komisch.«
    Mit verändertem Gesichtsausdruck begann Lucien wieder zu lesen. Marc hoffte.
    »Und?« fragte Marc.
    »Reg dich nicht auf, das hat nichts mit Sophia zu tun. Es steht auf der Rückseite des Ausschnitts. Der Anfang eines anderen Artikels, ebenfalls von Frémonville, aber über ein Theaterstück: ein völliger Reinfall, ein schlichtes und wirres Machwerk über das Innenleben eines Typen in einem Schützengraben 1917. Ein fast zweistündiger Monolog, ziemlich unerträglich, wie es scheint. Leider fehlt das Ende des Artikels.«
    »Du wirst doch nicht schon wieder damit anfangen. Das ist jetzt egal, Lucien, völlig egal! Wir sind doch nicht deswegen nach Dourdan gekommen, verdammt!«
    »Sei still. Frémonville schreibt in einem Nebensatz, daß er noch Kriegstagebücher von seinem Vater besitzt und daß der Autor des Stückes gut daran getan hätte, solche Dokumente einzusehen, bevor er sich was ausdenkt übers Militär. Stell dir das mal vor! Kriegstagebücher! Originale, nicht nachträglich geschriebene! Von August 1914 bis Oktober 1918! Sieben Hefte! Kannst du dir das vorstellen? Eine vollständige Serie! Hoffen wir, daß der Vater Bauer war, hoffen wir’s! Das wäre eine Goldgrube, Marc, eine Seltenheit! Mein Gott, mach, daß der Vater von Frémonville Bauer war! Verdammt, es war wirklich eine gute Idee, dich zu begleiten!«
    Vor lauter Glück und Hoffnung war Lucien aufgesprungen und ging in dem kleinen, düsteren Raum auf und ab, wobei er immer wieder den verstümmelten alten Zeitungsausschnitt las. Wütend machte Marc sich auf neue daran, die Unterlagen durchzublättern, die Dompierre eingesehen hatte. Neben den Artikeln, die Sophia schlecht gesonnen waren, gab es noch drei andere Packen mit anekdotenhafteren Beiträgen, bei denen es um einen ernsten Vorfall ging, der mehrere Tage lang die Aufführungen von Elektra beeinträchtigt hatte.
    »Hör zu«, sagte Marc.
    Aber es war nichts zu machen. Lucien war abwesend, unerreichbar, völlig absorbiert von der Entdeckung seiner Goldgrube und somit unfähig, sich für irgend etwas anderes zu interessieren. Obwohl er doch anfangs durchaus guten Willen gezeigt hatte. Wirklich Pech mit diesen Kriegstagebüchern. Schweigend las Marc weiter. Sophia Simeonidis war am Abend des 17. Juni 1978 anderthalb Stunden vor der Vorstellung in ihrer Garderobe überfallen worden, der Täter hatte versucht, sie zu vergewaltigen. Ihrer Aussage zufolge sei der Angreifer plötzlich geflohen, als er ein Geräusch gehört habe. Sie konnte keine Auskunft über ihn geben. Er hatte einen dunklen Blouson und eine blaue Strumpfmaske getragen und sie mit Fausthieben traktiert, um sie zu Boden zu zwingen. Dann hatte er die Strumpfmaske abgestreift, aber sie war bereits zu benommen gewesen, um ihn zu erkennen, und er hatte das Licht ausgemacht. Voller blauer Flecken, die zum Glück nicht weiter ernst waren, und mit einem Schock war Sophia Simeonidis zur Untersuchung

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