Die schoene Helena
„Tatsächlich? Nun, warten wir’s ab.“
Bei jedem Wortgefecht mit ihr funkelten seine Augen, als würden sie tanzen und sich an einem Geheimnis erfreuen, das dem Rest der Welt verborgen blieb. Helena gewann den unangenehmen Eindruck, dass er sich auf ihre Kosten amüsierte.
Nun spähte er an ihr vorbei ins Wohnzimmer. „Haben Sie genäht?“
Natürlich durfte er nicht erfahren, dass sie verzweifelt versucht hatte, ihre Garderobe zu modernisieren, um hübscher auszusehen für ihn! „Nein, keineswegs“, erwiderte sie. „Wie kommen Sie darauf?“
Sein Lächeln vertiefte sich. Neben einem Mundwinkel erschien ein Grübchen. Als er eine Hand hob, zuckte sie zusammen - eine instinktive Reaktion, die sie in Verlegenheit brachte. Sie hasste es, berührt zu werden.
Aber Adam ließ sich nicht beirren. Mit spitzen Fingern zupfte er ein besticktes Seidenbändchen aus ihrem Haar. Dann wanderte seine Hand zu ihrer Schulter hinab, wo ein Faden hing.
Mit diesen Beweisen konfrontiert und entrüstet über seine Kühnheit, stammelte sie: „Ach ja ... Kimberly und ich haben ein paar Sachen geflickt... Daran bin ich so gewöhnt, dass ich’s kaum noch wahrnehme“, fügte sie hinzu und lachte gekünstelt.
Wie sein vielsagender Blick bekundete, erriet er die Wahrheit, und sie fühlte sich zutiefst gedemütigt. „Ich würde Sie gern ins Dorf begleiten“, erbot er sich, „falls Sie ein paar Utensilien brauchen ... für Ihre Flickarbeit.“
„Nicht nötig...“ Warum sollte sie leugnen, in welch beklagenswertem Zustand sich ihre Garderobe befand? „Heute Morgen habe ich festgestellt, dass ich meine alten Kleider nicht mehr ausbessern kann. Bisher spielte das keine Rolle, weil wir niemals Gäste empfangen. Aber nun werde ich ein paar neue Sachen kaufen. Nur weil sich meine alten Kleider nicht reparieren lassen“, betonte sie hastig.
Taktvoll genug, verzog er seine zuckenden Mundwinkel nicht zu einem Lächeln. „Jede Braut braucht eine Aussteuer.“
„Aber ich bin keine normale Braut.“
Adam ignorierte die bissige Bemerkung. „Ein Grund mehr, um an den üblichen Ritualen festzuhalten, nicht wahr?“ Warum war er so freundlich zu ihr? Wie leicht könnte er sie mit seinem Spott erniedrigen ... Dazu würde schon eine hochgezogene dunkle Augenbraue genügen.
„Wie wär’s mit morgen?“, fragte er. „Oder haben Sie andere Pläne?“
„Nein“, entgegnete sie so hochnäsig, als wäre die Möglichkeit anderer Pläne durchaus gegeben, was völlig lächerlich war. Doch bevor sie das eingestanden hätte, würde sie sich lieber von Würmern auffressen lassen. „Morgen? Das wäre mir sehr recht.“
„Nach dem Frühstück?“
„Treffen wir uns zum Frühstück im Speisezimmer. Danach brechen wir auf.“
„Einverstanden.“ Die Arme vor der Brust verschränkt, musterte er sie selbstgefällig. „Dann kann ich dafür sorgen, dass Sie etwas essen.“
Gegen Mittag sah Helena ihn zum Stall gehen, und wenig später galoppierte er über die Wiese zum Wald.
Erleichtert atmete sie auf. Vorerst war sie der Gefahr entronnen, ihm dauernd über den Weg zu laufen. Für gewöhnlich verbrachte sie ihre Tage in der Küche. Oder sie erledigte zusammen mit Mrs Kent einige Haushaltspflichten. Wegen des Personalmangels gab es genug zu tun. Da sie so viele Dienstboten entlassen hatte, fühlte sie sich gezwungen, der Haushälterin beizustehen. Trotz ihrer adeligen Herkunft neigte sie nicht zum Müßiggang. Sie arbeitete genauso hart wie eine schlecht bezahlte Dienstmagd, und es störte sie kein bisschen. Einerseits wollte sie sich beschäftigen. Und nach der anstrengenden Tätigkeit sank sie abends erschöpft ins Bett, um sofort einzuschlafen. Und andererseits konnte sie sich mit dem Hinweis auf ihre Überlastung weigern, Gäste zu empfangen.
Seit dem Zwischenfall duldete sie keine Eindringlinge auf Rathford Manor. Es widerstrebte ihr, irgendwelchen Leuten zu begegnen.
Deshalb fürchtete sie die Fahrt ins Dorf, die sie zusammen mit Adam Mannion unternehmen sollte. Natürlich wäre es genauso unerfreulich, diesen Mann woandershin zu begleiten, weil sie unentwegt streiten würden.
Wenn sie sich im Dorf zeigte, würde man tuscheln und ihr neugierige Blicke zuwerfen.
Allein schon der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Beinahe hätte sie sich anders besonnen, um dieser Tortur zu entkommen. Doch sie durfte nicht länger wie eine bleiche Vogelscheuche durchs Leben gehen. Zumindest nicht, solange Adam Mannion in ihrem Haus
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