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Die schoene Helena

Titel: Die schoene Helena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Navin
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lachte.
    Zweifellos würde Mannion die Situation in vollen Zügen genießen. Sie wagte nicht, ihn anzuschauen. Wütend warf sie ihre Serviette auf den Tisch und ergriff die Flucht.

5. Kapitel
    In dieser Nacht fand Adam keinen Schlaf. Solche Schwierigkeiten hatte er normalerweise nicht.
    Beim Dinner hatte er Helena zweifellos übertrumpft. Nachdem sie erbost davongerannt war, hatte er seinen Erfolg ein paar Sekunden lang ausgekostet - und sich dann geschämt. Am Ziel seiner Wünsche, als Verlobter einer reichen Erbin, dürfte er nicht so boshaft sein und das arme Mädchen triumphierend verspotten.
    Zudem sorgte er sich, weil sie ihr Dinner versäumt hatte. Sie war so verdammt dünn. Hoffentlich hatte sie später etwas gegessen.
    Er richtete sich auf und rückte sein Kissen zurecht. Im Norden Englands waren die Nächte eisig, und die Laken fühlten sich feuchtkalt an.
    Plötzlich hörte er Musik und lauschte verwundert. Ein Klavier, dem fachkundige Hände bewegende Klänge entlockten ... Vielleicht spielte das gespenstische mondlose Dunkel seiner Fantasie einen Streich. Oder es lag am Haus, das einem unheimlichen Mausoleum glich. Jedenfalls bekam er eine Gänsehaut und erschauerte, was gewiss nicht mit der winterlichen Temperatur zusammenhing.
    Von den leisen, beschwingten Tönen aufgeschreckt, stieg er aus dem Bett und schlüpfte in seine Hose. Vorsichtig schlich er zur Tür und legte ein Ohr an die Ritze. Jetzt hörte er die Musik etwas deutlicher.
    Auf dem Toilettentisch lag seine Taschenuhr. Adam entzündete die drei Kerzen, die in einem Kandelaber steckten, und inspizierte die Uhr. Halb zwei.
    Wer spielte mitten in der Nacht Klavier?
    Lautlos öffnete er die Tür und spähte in den Flur. Das flackernde Kerzenlicht warf Schatten an die Wand, die tanzenden Geistern glichen und miteinander verschmolzen, während er daran vorbeiging.
    Allzu gut kannte er sich noch nicht in diesem Haus aus. Auf bloßen Füßen eilte er zum Treppenabsatz. Sollte er dem Korridor zum Ostflügel folgen oder die Eingangshalle aufsuchen? Er stieg ein paar Stufen hinab, und als die Musik etwas lauter erklang, setzte er seinen Weg fort.
    Jetzt vernahm er eine lebhaftere Melodie. Stürmische Emotionen drückten sich in einem dramatischen Rhythmus aus, mit etwas sanfteren Untertönen. Vor Adams geistigem Auge erschien ein seltsames Bild, von der leidenschaftlichen Musik heraufbeschworen. Ein kleines Mädchen, das allein spielte, servierte seinen Puppen Tee auf einem gepflegten Rasen. Am Waldrand lauerte ein geiferndes wildes Tier. Allmählich merkte das Kind, dass es beobachtet wurde.
    Erstaunt über seine eigene, ungewöhnlich rege Fantasie schaute sich Adam mit zusammengekniffenen Augen in der düsteren Halle um. Ja, natürlich - das Musikzimmer. Leider erinnerte er sich nicht, wo es lag. Bei seinem Rundgang am Nachmittag hatte er so viele Räume besichtigt. Aufs Geratewohl öffnete er eine Tür, die in den Angeln kreischte. Es klang wie ein Schmerzenslaut, und die Klaviermusik verstummte sofort.
    „Ist da jemand?“, rief er in die Finsternis.
    Tiefe Stille. Dann kaum hörbare Schritte, die sich hastig entfernten ... Den Kopf schief gelegt, versuchte er herauszufinden, welche Richtung sie einschlugen. Doch das Deckengewölbe und der polierte Boden erzeugten Echos, deren Spur sich nicht verfolgen ließ und die schließlich erstarben.
    Zweifellos waren Helenas zarte Finger über die Tasten geglitten. Keiner der Dienstboten würde es wagen, das Instrument zu benutzen. Außerdem würde nur eine Person, die eine exzellente - und teure - Ausbildung genossen hatte, so virtuos und gefühlvoll Klavier spielen. Andererseits traute er der dünnen, bleichen jungen Frau, die ihn mit kalter Verachtung strafte, keine edle, erhabene Leidenschaft zu.
    Aber Lady Helena Rathford verhielt sich nur selten so, wie man es erwarten würde. Das hatte er am vergangenen Tag oft genug festgestellt.
    Helena verbrachte den Vormittag im Salon und nähte. Unterstützt von Kimberly, versuchte sie, ihre Garderobe zu ändern und die altmodischen Kleider dem derzeit fashionablen Stil anzupassen.
    Prüfend hielt Helena ein grünes Seidenkleid hoch, keineswegs zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Da sie nicht besonders gut mit Nadel und Faden umgehen konnte, hatte sie den dünnen Stoff mit unregelmäßigen Stichen ruiniert. „Wahrscheinlich muss ich nach Strathmere fahren, zur Schneiderin“, seufzte sie, sprang auf und schleuderte ein weiteres missglücktes Resultat

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