Die schoene Helena
Anschein, er würde nicht beachten, wie viel Helena aß. Er traute ihr durchaus zu, keinen Bissen anzurühren, nur um ihn zu erzürnen. Stattdessen verspeiste sie eine erstaunlich große Portion. Zum Nachtisch nahm sie sich ein üppiges Stück Torte. Und dann beobachtete er sogar, wie sie viel mehr Sahne in ihren Kaffee rührte als am vergangenen Abend.
Sein Sieg beglückte ihn. Also durfte er doch noch einer erfreulichen Ehe entgegenblicken. Er musste seine Frau nur „dürr“ nennen, und schon würde sie seine Wünsche erfüllen.
Oh Gott, der Gedanke, Helena würde alle seine Wünsche erfüllen, beschwor Fantasiebilder herauf, die man besser verdrängen sollte, wenn man einer jungen Dame in Anwesenheit ihres Vaters gegenübersaß.
7. Kapitel
Manche Tage waren einfach vollkommen, von goldenen Sonnenstrahlen und der sanften Brise bis zum Vogelgesang, der jubilierend aus dem Wald heranwehte.
In diesem Sommer würden solche Tage nur mehr selten anbrechen. Das Laub begann zu welken und färbte sich braun, und die unerfreuliche Aussicht auf noch kältere Temperaturen ließ das prächtige Wetter umso kostbarer erscheinen.
An einem wolkenlosen Morgen verließen Helena und Adam das Haus und fuhren in einer eleganten Karriole zum Dorf. Offenbar hatte Kepper hart gearbeitet, um den Wagen instand zu setzen. Der Geruch frischer Farbe war ebenso unverwechselbar wie der Duft des Zitronenöls, mit dem er die Ledersitze eingerieben hatte, um sie zu säubern und geschmeidig zu machen. Natürlich ließ sich die Karriole nicht mit den luxuriösen Vehikeln vergleichen, die Adams Freunde in London benutzten. Aber sie übertraf seine Hoffnungen bei Weitem - was auch für Helena galt. In ihrem scharlachroten Umhang sah sie zauberhaft aus. Und die Aura ihrer Gelassenheit wirkte ebenso dünn wie das zarte Seidentüchlein, das im Ausschnitt ihres Kleids steckte.
Wortlos nahm sie Platz. Adam ergriff die Zügel und spornte die Pferde an. Nach einem längeren Schweigen bemerkte er, ohne den Blick von der Straße abzuwenden: „Am Sonntag wird das Aufgebot verlesen. Natürlich wäre es angebracht, wenn wir uns dabei gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigen würden. Dann dürfte die Neuigkeit Ihre Freunde nicht allzu sehr schockieren.“
„Ich habe keine Freunde.“ In Helenas Stimme schwang weder Wehmut noch Bedauern mit.
„Wie seltsam!“, meinte er verblüfft. „Sind Sie eine Menschenfeindin?“
„Einfach nur zurückhaltend.“ Als sie auf dem Sitz umherrutschte, hörte er ihre Röcke rascheln. Vermutlich war sie nervös. „Was Sie zweifellos missbilligen Mr Mannion. Alles an mir scheint Sie zu stören.“
„Nicht alles. Zum Beispiel gefällt mir Ihre Frisur. Was Ihre Unhöflichkeit mir gegenüber betrifft, das steht auf einem anderen Blatt.“
„Ach, wirklich? Und wie soll ich einen Mann behandeln, der so zielstrebig von London nach Northumberland gereist ist, um sich mein Vermögen anzueignen? Dafür nimmt er sogar eine Braut in Kauf, die von ihrem Vater zur Heirat gezwungen wird ...“
„So ungewöhnlich ist das gar nicht. Und Sie dürfen sich wohl kaum beklagen, Helena. Die meisten jungen Damen von Ihrer illustren Herkunft sehen die Ehemänner, die ihre Väter ausgesucht haben, erst bei der Hochzeit. Ich hielt es schon immer für eine merkwürdige Sitte der Aristokratie, ihre Kinder wie Rinder oder Pferde zu behandeln, die sich mit den richtigen Partnern paaren - zum Wohl der Landgüter und des Familienvermögens. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht?“
„Ich glaube, ich kenne die ,merkwürdigen Sitten der Aristokratie etwas besser als Sie, Sir.“
„ Touche. Immerhin bin ich nur ein armer Bürgerlicher und Ihrer erlauchten Person gar nicht würdig.“
„Wie bitter das klingt, Mr Mannion.“
„Um beim Thema zu bleiben - wieso sind Sie dem Ehejoch bisher entronnen? Konnte Ihr Vater keinen passenden Gentleman finden, der Ihre scharfe Zunge ertragen hätte?“ Er musterte ihr Profil. „Oder haben Sie auf die große Liebe gewartet?“ „Zu ihrer Information - ich war einmal verlobt.“
„Und was ist geschehen?“
„Er zog eine andere vor.“
Oh Gott, welch ein Idiot ich bin, dachte er bestürzt. Seit seiner Ankunft überschüttete er sie mit Spott und Hohn, während sie an ihrem gebrochenen Herzen litt. „Verzeihen Sie, davon wusste ich nichts.“
„Erstaunlich ... wo doch die Leute in dieser Gegend so gern klatschen.“
„Zu meinem Bedauern fand ich auf Rathford nur einen einzigen Dienstboten,
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