Die schoene Helena
ehrlosen Mitgiftjäger, der seine Absichten nicht einmal zu verhehlen sucht, bin ich keine Erklärung schuldig.“
„Das hat gesessen!“ Grinsend lehnte er sich zurück. „Nun haben Sie mich tief in meinem Stolz gekränkt.“
So sah er nicht aus. Stattdessen schien er seinen Triumph zu genießen, nachdem er sie wieder einmal zu einem Gefühlsausbruch veranlasst hatte.
Auf dem Dorfplatz zügelte er das Pferd, und Helenas Unbehagen wuchs.
„Wo finden wir die couturiere?“, fragte Adam.
Ungeduldig verdrehte Helena die Augen. „Verwechseln Sie Strathmere mit London? Hier gibt’s keine couturiere, nur eine Schneiderin.“
In diesem Moment bemerkte sie eine Frau, die am Straßenrand stehen blieb, Mund und Nase aufsperrte und in sichtlichem Entsetzen ihren Brotkorb fallen ließ. Unbeachtet rollten die goldbraunen Brotlaibe davon. Auch ihre Begleiterin hatte Helena entdeckt und verhielt sich genauso dramatisch. Ohne an ihre Manieren zu denken, beugte sie sich vor und gaffte.
Verzweifelt wünschte Helena, sie könnte den beiden die kalte Schulter zeigen. Doch es gelang ihr nicht, ihren Blick von den angstvollen Gesichtern loszureißen. Sie fühlte sich elend. Hilflos beobachtete sie, wie die beiden Frauen die Köpfe zusammensteckten und eifrig tuschelten.
„Ah, da vorn sehe ich das Schild!“, verkündete Adam, ohne die theatralische Szenen zu beachten, die sich ringsum abspielten.
Auf der anderen Straßenseite rannte der Metzger aus seinem Laden. Der hagere wichtigtuerische Kurzwarenhändler gesellte sich zu ihm. Während sie ein lebhaftes Gespräch begannen und heftig gestikulierten, schienen sich ihre Blicke in Helenas Stirn zu bohren.
„Ich begleite Sie ins Geschäft. Aber ich will nicht warten, bis Sie alles erledigt haben. Mit Damenmode kenne ich mich nicht aus. Ja, nicht einmal meine eigene Garderobe interessiert mich, und es fällt mir schwer, dafür zu sorgen. Treffen wir uns später da drüben in der Teestube ... sagen wir, um zwölf? Dort werden wir den Lunch einnehmen. Wenn’s länger dauert, schicken Sie mir eine Nachricht, und ich fange schon mal zu essen an ... Helena?“
Reglos saß sie neben ihm. Adam ergriff ihre Hände und hielt sie mit starken, warmen Fingern fest. Nur mühsam bekämpfte sie den plötzlichen Impuls, in seinen Armen Schutz zu suchen. Wie kam sie bloß auf solche Gedanken? Die Angst musste ihr Gehirn benebelt haben.
„Was stimmt denn nicht mit Ihnen?“, fragte Adam in gebieterischem Ton. „Um Gottes willen, spielen Sie nicht die Märtyrerin, Helena! Sagen Sie mir, was los ist!“
„All diese Leute ...“ Beklommen wich sie seinem Blick aus. „Sie starren mich an und reden über mich ... das beunruhigt mich ...“
„Unsinn, die bewundern Sie nur, weil Sie heute so hübsch aussehen.“
Da wandte sie sich zu ihm, ungläubig und misstrauisch. Wollte er sie wieder einmal verspotten? Aber sie las nur Güte und Verständnis in seinen Augen. Echte Güte, keine Heuchelei oder - was noch schlimmer gewesen wäre - Mitleid. Sein sanftes Lächeln tröstete sie ein wenig, und sie spürte, wie sich ihre Hände, die er immer noch umfasste, langsam erwärmten. „Deshalb gehe ich niemals aus“, gestand sie mit leiser, gepresster Stimme. „Dieses Gemunkel ... und die unverhohlene Sensationssucht ... Das verkrafte ich nicht.“
„Überrascht Sie das Verhalten der Dorfbewohner?“ Ein-dringlich schaute er ihr in die Augen, kein bisschen herablassend. „Obwohl Sie ganz in der Nähe leben, zeigen Sie sich niemals in Strathmere. Das kommt den Leuten seltsam vor. Und jetzt, wo Sie endlich in der Öffentlichkeit erscheinen, erregen Sie natürlich Aufsehen. Nur vorübergehend. Sobald man sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hat, wird dieses lebhafte Interesse verfliegen. Nun bringe sich Sie zur Schneiderin. Übrigens, vielen Dank, dass Sie meinen Irrtum berichtigt haben - selbstverständlich gibt’s in diesem Dorf keine couturiere.“
Adam sprang vom Kutschbock und half ihr hinabzusteigen. Nachdem ihre Füße den Boden berührt hatten, hielt er ihre Hand immer noch fest - lange genug, Um einen Kuss auf die behandschuhten Fingerknöchel zu hauchen. „Falls die Leute unbedingt klatschen wollen - jetzt haben sie etwas gesehen, das sie eine ganze Weile beschäftigen wird.“
Vor lauter Dankbarkeit hätte sie am liebsten geweint. Vielleicht würden ihre Tränen tatsächlich fließen, wenn sie nicht so verängstigt wäre. Aber Adam half ihr irgendwie, die neugierigen Mienen zu
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