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Die schoene Helena

Titel: Die schoene Helena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Navin
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hungrig.“
    „Darf ich hoffen, dass Sie immer noch hungrig sind?“, fragte er und ergriff ihre Hände.
    Helena schüttelte den Kopf.
    „Dann haben wir keine Wahl, wir müssen Ihren Appetit anregen. Gerade wollte ich auf der Fuchsstute ausreiten“, log er. „Würden Sie sie reiten? Dafür wäre ich Ihnen dankbar, denn ich würde eine Gelegenheit finden, meinen Wallach zu bewegen.“ „Nein ...“ Sie versuchte sich loszureißen. „Nein, dazu habe ich keine Lust.“
    „Reiten Sie nicht gern?“
    „Früher bin ich oft ausgeritten.“ Sie zögerte. „Und jetzt weiß ich nicht einmal mehr, was ich tun muss, wenn ich auf dem Rücken eines Pferdes sitze.“
    „Das lernen Sie bald wieder. Kommen Sie, Helena, Sie wären mir eine große Hilfe. Beide Pferde kann ich nicht reiten, und sie brauchen dringend ein bisschen Bewegung.“ Als sie immer noch zauderte, fügte er hinzu: „Oder sollen die schönen Tiere dick und faul werden?“
    „Also gut...“, stimmte sie unsicher zu. „Bei meiner neuen Garderobe müsste sich ein Reitkostüm befinden.“
    „Wurden die Kleider schon geliefert?“
    „Einige.“ Nach wie vor unschlüssig, schaute sie ihn an, und er zog sie energisch auf die Beine.
    „Zweifellos wird’s Ihnen Spaß machen, hübsche neue Sachen anzuziehen. Nehmen Sie einen Umhang mit. Heute ist die Luft draußen ziemlich kühl.“
    Trotz ihrer anfänglichen Bedenken beschloss Helena den Ausritt zu genießen. In ihrem schwarzen Rock mit dem kamelhaarfarbenen Rüschenbesatz, der weißen Bluse und dem taillierten hellbraunen Spenzerjäckchen fühlte sie sich hoch elegant, und ihr Selbstvertrauen kehrte zurück.
    Auf dem Weg zum Stall fütterte Adam einen ziemlich verwahrlosten Hund mit Fleischresten. Das gutmütige Tier schnüffelte an Helenas Rock, und Adam schimpfte: „Nicht, Kain!“ Erstaunt sah sie ihn an, und er erklärte hastig, in die Defensive gedrängt: „Irgendwie muss ich ihn doch anreden. Besonders vorteilhaft sieht er nicht aus, was?“
    „Aber ... Kain hat seinen Bruder getötet. Warum geben Sie dem Hund einen so schrecklichen Namen?“
    Adam half ihr in den Sattel. Dann schlenderte er zu seinem Wallach. „Nach meiner Ansicht muss man Kain bedauern. Niemals war der liebe Gott mit ihm zufrieden. Deshalb hat Kain seinen Bruder getötet... weil sich Abel das Wohlwollen des Allmächtigen erwarb, was Kain nicht gelang.“ Er schaute nachdenklich vor sich hin. „Erinnern Sie sich, er benutzte keine Waffe, sondern den Kieferknochen eines Esels. Und das bedeutet, dass er sich ganz spontan zu dem Mord entschloss, plötzlich von einer Situation überwältigt, die er nicht länger ertrug. Ein Verbrechen aus Leidenschaft. Gewissermaßen wurde er dazu getrieben.“ Ungläubig runzelte Helena die Stirn. „Welch eine seltsame Deutung ...“
    „Manchmal können mildernde Umstände den Blickwinkel ändern, aus dem man ein Verbrechen betrachtet. Und als ich diesen armseligen Hund sah, dachte ich, er müsste wissen, wie Kain sich gefühlt hat. Wie Sie sehen, ist er eine Promenadenmischung. Also war er für seinen Herrn wertlos, so freundlich und fügsam er sich auch verhalten mochte. Vielleicht besitzt er eine ausgezeichnete Witterung und einen fabelhaften Instinkt. Trotzdem ist jeder unfähige reinrassige Hund viel kostbarer.“ In der Luft lag bereits der Modergeruch des frühen Herbstes. Helena dachte kurz nach. „Hm ... Das verstehe ich. Ist Ihnen schon einmal bewusst geworden, dass Sie mit Ihrem Namen Adam ein ganz besonderes biblisches Thema verkörpern?“ Lachend stieg er in den Sattel. „Daran habe ich nicht gedacht. Und da ich mich sehr gern von einer schönen Frau verführen lassen würde, könnte auch der Name Kain auf den Hund abfärben. Deshalb sollte ich ihn anders nennen.“
    Während sie dahinritten, probierte er verschiedene Namen aus. Bei jedem Vorschlag wedelte der Hund, der sich entschlossen hatte, sie zu begleiten, mit dem Schwanz. Offenbar hegte er keine besondere Vorliebe. Schließlich meinte Adam, Kain würde trotz allem am besten zu seinem neuen Freund passen, und so blieb es dabei.
    Aber Helena dachte immer noch über die mildernden Umstände nach, die Adam erwähnt hatte und die manches Unrecht in einem anderen Licht erscheinen ließen.
    Die meisten Menschen achteten nicht auf die feinen Grauschattierungen. Für sie zählte nur Schwarz und Weiß. Diesen Standpunkt vertrat Adam nicht. Konnte man auf mildernde Umstände plädieren, wenn man die eigene Mutter tötete, um ein

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