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Die schoene Helena

Titel: Die schoene Helena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacqueline Navin
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anderes Leben zu retten?
    Da dieser Gedanke die übliche Beklemmung heraufbeschwor, verdrängte sie ihn. Sie durfte nicht zu nachdenklich vor sich hinstarren. Sonst würde sie Adams Neugier erregen. Ohne dass es ihr bewusst wurde, verebbte das bedrückende Gefühl. Bald entspannte sie sich im Sattel und betrachtete die Landschaft ringsum.
    Tief sog sie die feuchte, kühle Luft in die Lungen. Die Adlerfarne, die den Waldweg säumten, begann sich braun zu verfärben. Von den Bäumen schwebten die ersten Blätter herab, und auf der Lichtung, die sie nun erreichten, wuchs graugrünes Gras. Allmählich bereitete sich die Natur auf ihren langen Schlaf vor. Aber Helenas Stimmung stand in einem sonderbaren Gegensatz zu ihrer Umgebung. Frühling erfüllte ihr Herz. Nach einem langen Winter erwachte sie wie Dornröschen, von ihrem Liebsten geküsst.
    Welch ein alberner Gedanke für eine normalerweise vernünftige Frau. Trotzdem musste sie lächeln.
    Ein paar Tage später kamen der Reverend und seine Gattin zum Dinner ins Rathford Manor, um die Trauung zu erörtern. Seine
    Lordschaft hatte die beiden ohne Helenas Wissen eingeladen. Erst am Nachmittag hatte er ihr Bescheid gegeben und sie ersucht, sich entsprechend umzukleiden und die Gäste um halb sieben zu erwarten.
    Natürlich war es sinnlos, gegen sein eigenmächtiges Verhalten zu protestieren. Nachdem er sich die Hochzeit in den Kopf gesetzt hatte, musste sie planmäßig stattfinden. Außerdem gewann sie den Eindruck, ihr Vater wäre fest entschlossen, die trostlose Isolation der letzten fünf Jahre zu beenden und wieder ein normales Leben zu führen.
    Und so wurde sie ihrer einsamen Existenz beraubt, dagegen konnte sie nichts tun. Die Atmosphäre von Rathford Manor änderte sich beängstigend schnell, und Helena fand zu wenig Zeit, um die neue Situation zu missbilligen. Im Grunde wollte sie das auch gar nicht.
    Inzwischen waren weitere der neuen Kleider eingetroffen, vor allem die einfachen - in aller Eile geschneidert, um ihre dringlichsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für das Dinner wählte Helena ein Kleid, das ihr einigermaßen elegant erschien, und sie verwendete große Sorgfalt auf ihre Toilette. Dabei musste sie sich allein behelfen. Die Dienste einer Zofe wurden in diesem Haus schon lange nicht mehr gebraucht. Aber sie kam ganz gut zurecht. Allerdings schmerzten ihre Arme, weil sie ihr Haar minutenlang bürstete, bis es golden glänzte wie in alten Tagen. Schließlich lockte sie es mit der Brennschere und steckte es hoch. An den Wangen, über der Stirn und im Nacken ringelten sich ein paar Löckchen. Zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen, drehte sie den Kopf vor dem Spiegel hin und her. Ihre einstige Zofe hätte sie noch hübscher frisiert. Aber sie sah nicht übel aus.
    Das dunkelrosa Seidenkleid war mit Ecrüspitze besetzt, die Taille wurde mit einem breiten Satinband betont. Sie fand alte Handschuhe, fast im selben Naturweiß wie die Spitze, und zog sie an. Eifrig wühlte sie in ihrer Schmuckkassette und entdeckte eine Perlenschnur für ihr Haar. Sicher würde sich ein Satinband, passend zu ihrem Kleid, besser eignen. Doch die Perlen schimmerten wenigstens in fast der gleichen Farbe. Aus dem
    Schrank holte sie Schuhe aus Glaceleder hervor, die sie nur selten getragen hatte.
    Als sie sich im Spiegel betrachtete, lächelte sie unwillkürlich. Ein rosiger Hauch auf ihren Wangen ließ die Augen strahlen. Verwundert beugte sie sich vor. Irgendetwas in ihrem Spiegelbild glaubte sie wiederzuerkennen. Die Helena von einst hatte nie so aufgeregt - so glücklich ausgesehen. Aber eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht leugnen. In letzter Zeit hatte sie sogar ein wenig zugenommen.
    Jetzt war sie nicht mehr so mager. Ihr Lächeln vertiefte sich. Welch ein Gesicht würde Adam bei ihrem Anblick machen? Darauf freute sie sich schon. Zweifellos würde er die Verwandlung bemerken. Beschwingt verließ sie ihr Zimmer und stieg erwartungsvoll die Treppe hinab.
    Adam hasste jede Art von formeller Kleidung. Tagsüber pflegte er eine lose gebundene Krawatte zu tragen, doch jetzt drohte ihn das kunstvolle Gebilde zu erwürgen. Mühsam bekämpfte er den Impuls, den festen Knoten zu lockern.
    Sobald er Mr Gerret, den Reverend, und dessen Gemahlin Genevieve sah, erkannte er, welch großen Wert die beiden auf Förmlichkeiten legten. Immerhin begrüßten sie ihn liebenswürdig, und nachdem der Hausherr ihn mit den Besuchern bekannt gemacht hatte, taten’sie ihr Bestes, um Adams

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