Die schöne Kunst des Mordens
Menschen hat, die davon betroffen sind?
Das Gefühl hatte ich jetzt: Ich hatte nicht die geringste Ahnung, worüber sie sprach, doch ich wollte es unbedingt wissen.
Glücklicherweise ließ sie mich nicht lange im Ungewissen.
»Ich weiß nicht, ob ich das noch lange schaffe«, sagte sie.
»Was?«
»Ich fahre mit einem Typen herum, der, wie viel?, zehn, fünfzehn Menschen umgebracht hat.«
Es ist niemals angenehm, so gröblich unterschätzt zu werden, doch schien es taktisch unklug, sie zu korrigieren. »In Ordnung«, sagte ich.
»Eigentlich ist es meine Aufgabe, Typen wie dich zu fassen und aus dem Verkehr zu ziehen, aber du bist mein
Bruder!
«, donnerte sie, während sie jede Silbe mit einem Schlag auf das Lenkrad unterstrich – was sie eigentlich nicht tun musste, da ich sie klar und deutlich hörte. Und endlich begriff ich, was ihre seit neuestem auftretende Flegelhaftigkeit zu bedeuten hatte, wenngleich ich nach wie vor nicht verstand, warum sie bis jetzt gebraucht hatte, das Thema aufs Tapet zu bringen.
Meine Schwester hatte erst in jüngster Zeit von meinem kleinen Hobby erfahren, und nach kurzem Nachdenken wurde mir klar, dass es viele gute Gründe für sie gab, es zu missbilligen. Natürlich in erster Linie den Akt an sich, der, wie ich freimütig eingestehe, nicht jedermanns Sache ist. Dazu die Tatsache, dass alles, was ich war, vom heiligen Harry der blauen Uniform gutgeheißen, ja sogar erschaffen worden war, dessen sauberem und schimmerndem Pfad sie bisher zu folgen geglaubt hatte. Und nun hatte sie entdeckt, dass ein alternativer Pfad existierte, ausgetreten von denselben heiligen Füßen, und dieser Pfad führte zu den dunklen Orten im Wald. Ihr ganzes Wesen stand in krassem Gegensatz zu allem, was mein wunderbares Selbst ausmachte, und beide waren wir von derselben gesegneten Hand geschaffen worden. Eigentlich ziemlich biblisch, wenn man so darüber nachdachte.
Selbstverständlich hatte das, was sie sagte, einiges für sich, und wäre ich so klug, wie ich mir unterstelle, hätte ich gewusst, dass es irgendwann zu diesem Gespräch kommen musste, und mich darauf vorbereitet. Doch närrischerweise war ich davon ausgegangen, dass nichts in der Welt so allmächtig ist wie der Status quo, und so hatte sie mich überrumpelt. Abgesehen davon war meines Wissens in der jüngsten Vergangenheit nichts vorgefallen, was diese Art der Konfrontation hätte auslösen können; woher kam dieser Ausbruch?
»Es tut mir leid, Debs«, entschuldigte ich mich. »Aber, äh, was willst du eigentlich von mir?«
»Ich will, dass du
aufhörst.
Ich will, dass du ein anderer bist.« Sie sah mich an, ihre Lippen zuckten, und dann schaute sie wieder weg, aus dem Seitenfenster und über die US 1 und die Hochbahn. »Ich will, dass du … der Typ bist, für den ich dich immer gehalten habe.«
Ich halte mich gern für geistreicher als die meisten. Doch in diesem Moment hätte ich genauso gut geknebelt und gefesselt auf den Bahngleisen angebunden sein können. »Debs«, sagte ich. Nicht viel, doch anscheinend der einzige Pfeil in meinem Köcher.
»Gott
verdammt,
Dex«, schnauzte sie und hieb so heftig auf das Lenkrad, dass der Wagen bebte. »Ich kann mit niemandem darüber reden, nicht mal mit Kyle. Und du …« Wieder hämmerte sie auf das Lenkrad. »Woher soll ich wissen, ob du überhaupt die Wahrheit sagst, dass Daddy dich dazu gemacht hat?«
Es wäre vermutlich nicht korrekt zu sagen, dass meine Gefühle verletzt waren, da ich ziemlich sicher bin, dass ich keine hege. Doch die Ungerechtigkeit dieser Bemerkung schien schmerzlich. »Ich würde dich niemals anlügen.«
»Du hast mich jeden Tag deines Lebens belogen, weil du mir nicht gesagt hast, was du in Wirklichkeit bist«, erwiderte sie.
Ich bin genauso vertraut mit der New-Age-Philosophie und Dr. Phils Lebensstrategieshow wie jeder andere, doch es kommt die Stunde, da die Realität zum Zuge kommen muss, und mir schien, dass dieser Punkt erreicht war. »Also gut, Debs«, begann ich. »Und was hättest du getan, wenn du gewusst hättest, was ich in Wirklichkeit bin?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es immer noch nicht.«
»Na dann«, sagte ich.
»Doch ich
müsste
etwas tun.«
»Warum?«
»Weil du Menschen
umgebracht
hast, verdammt«, brüllte sie.
Ich zuckte die Achseln. »Ich kann es nicht ändern. Und sie alle haben es verdient.«
»Es ist nicht richtig!«
»Es ist das, was Dad wollte.«
Ein Gruppe Jugendlicher ging an unserem Wagen vorbei und starrte uns
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