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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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an. Einer machte eine Bemerkung, und alle lachten. Haha. Seht mal, das komische Pärchen streitet sich. Heute Abend muss er auf dem Sofa schlafen, haha.
    Doch wenn ich Deborah nicht überzeugen konnte, dass alles so war, wie es sein sollte, in alle Ewigkeit, konnte es passieren, dass ich an diesem Abend in einer Zelle schlief.
    »Debs«, sagte ich. »Dad hat es so arrangiert. Er wusste, was er tat.«
    »Wirklich? Oder denkst du dir das aus? Und selbst, wenn er es arrangiert hat, durfte er das? Oder war er nur ein weiterer verbitterter, ausgebrannter Bulle?«
    »Er war Harry«, erwiderte ich. »Er war unser Vater. Selbstverständlich durfte er.«
    »Ich brauche mehr als das.«
    »Und wenn es nicht mehr gibt?«
    Endlich drehte sie sich um, statt weiter auf das Lenkrad einzudreschen, was eine echte Erleichterung war. Doch sie schwieg so lange, dass ich zu wünschen begann, sie würde wieder loslegen.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ich weiß es einfach nicht.«
    Da hatten wir es. Ich meine, ich konnte verstehen, dass es ein Problem für sie war – was tun mit dem mordenden Adoptivbruder? Immerhin war er umgänglich, erinnerte sich an Geburtstage und machte echt gute Geschenke; ein produktives Mitglied der Gesellschaft, ein hart arbeitender und bescheidener Junge – wenn er hin und wieder entwischte und schlechte Menschen umbrachte, war das wirklich so eine große Sache?
    Andererseits hatte sie einen Beruf, in dem man solche Dinge generell eher stirnrunzelnd betrachtet. Und fachlich gesehen war es ihre Aufgabe, Menschen wie mich aufzuspüren und zu einem reservierten Platz auf Old Sparky zu begleiten.
    Ich konnte erkennen, dass sie in einer Art professionellem Dilemma steckte, besonders, da es ihr Bruder war, der eine Entscheidung
     verlangte.
    Oder?
    »Debs«, sagte ich. »Ich weiß, dass es ein Problem für dich ist.«
    »Problem«, wiederholte sie. Eine Träne rann ihr die Wange hinunter, obwohl sie weder schluchzte noch in anderer Weise zu weinen schien.
    »Ich glaube, er wollte nicht, dass du es erfährst«, sagte ich. »Ich sollte dir nie davon erzählen, aber …«
    Ich erinnerte mich daran, wie sie auf den Tisch gefesselt gewesen war und mein echter genetischer Bruder über ihr stand, in der Hand Messer für uns beide, und mir bewusst wurde, dass ich sie nicht töten konnte, gleichgültig, wie sehr ich es brauchte, gleichgültig, wie eng es mich mit ihm verbunden hätte, mit meinem Bruder, der einzigen Person auf der Welt, die mich wirklich verstand und mich so akzeptierte, wie ich war. Und doch hatte ich es nicht über mich gebracht. Irgendwie war die Stimme von Harry zu mir durchgedrungen und hatte mich auf den Pfad geleitet.
    »Scheiße«, fluchte Deborah. »Scheiße noch mal, was hat sich Daddy bloß dabei gedacht?«
    Das fragte ich mich gelegentlich auch. Doch ebenso fragte ich mich manchmal, wie Menschen irgendwelche der Dinge glauben konnten, an die sie zu glauben vorgaben, oder warum ich nicht fliegen konnte, und das schien in dieselbe Kategorie zu gehören. »Wir werden nie wissen, was er sich dabei gedacht hat«, erklärte ich. »Wir kennen nur das Ergebnis.«
    »Scheiße«, fluchte sie wieder.
    »Vielleicht«, gab ich zu. »Was wirst du nun in dieser Sache unternehmen?«
    Sie sah mich immer noch nicht an. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Aber ich glaube, ich muss etwas tun.«
    Wir beide saßen einen langen Moment schweigend da; es gab nichts mehr zu sagen. Dann legte sie den Gang ein, und wir rollten zurück auf den Highway.

11
    E s gibt kaum etwas Geeigneteres, ein Gespräch versiegen zu lassen, als seinem Bruder zu verkünden, dass man erwägt, ihn wegen Mordes zu verhaften. Nicht einmal mein legendärer Scharfsinn war der Aufgabe gewachsen, sich eine Entgegnung einfallen zu lassen, die den Atem lohnte. Deshalb fuhren wir schweigend die US 1 bis zur 95 North und dann vom Freeway hinunter in den Designerbezirk direkt hinter der Abfahrt zum Julia Tuttle Causeway.
    Durch die Stille schien die Fahrt wesentlich länger, als sie eigentlich war. Ich schaute ein- oder zweimal flüchtig zu Deborah hinüber, doch sie war offensichtlich in Gedanken versunken – vielleicht dachte sie darüber nach, ob sie ihre guten Handschellen für mich nehmen sollte oder doch lieber das billige Ersatzpaar aus dem Handschuhfach. Wie auch immer, sie starrte jedenfalls stur geradeaus, kurbelte mechanisch am Steuer und fädelte sich achtlos durch den Verkehr, ohne ihre Aufmerksamkeit an mich zu

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