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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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lächelte mich mechanisch und wenig überzeugend an. »Warten wir ab, was die Ärzte sagen, okay?«, schlug er vor, was nicht so aufmunternd klang, wie er vielleicht beabsichtigt hatte.
    »Bringen Sie sie zum Jackson?«, fragte ich.
    Er nickte. »Sie wird auf der Intensiv sein, wenn Sie dort eintreffen.«
    »Kann ich mitfahren?«
    »Nein«, sagte er. Er schlug die Türen zu, rannte nach vorn und stieg ein. Ich sah zu, wie sie sich in den Verkehr einfädelten, die Sirene anwarfen und davonrasten.
    Plötzlich fühlte ich mir sehr einsam. Alles schien unerträglich melodramatisch. Die letzten Worte, die wir gewechselt hatten, waren nicht angenehm gewesen, und nun mochten sie sich als unsere letzten Worte herausstellen. Eine solche Reihe von Ereignissen gehörte ins Fernsehen, vorzugsweise ins Nachmittagsprogramm. Aber ganz bestimmt nicht in die Hauptsendezeit, als Drama »Dexters trübe Tage«. Doch so war es. Deborah war auf dem Weg zur Intensivstation, und ich wusste nicht, ob sie sie wieder verlassen würde. Ich wusste nicht einmal, ob sie lebend dort eintreffen würde.
    Ich sah zurück auf den Bürgersteig. Es schien eine schreckliche Menge Blut. Deborahs Blut.
    Glücklicherweise musste ich nicht zu lange brüten. Detective Coulter war eingetroffen und sah selbst für seine Verhältnisse sehr unglücklich drein. Ich beobachtete ihn, während er eine Minute auf dem Bürgersteig stand und sich umschaute, ehe er zu mir herüberstapfte. Er sah sogar noch unglücklicher aus, als er mich mit demselben Gesichtsausdruck wie am Tatort von Kopf bis Fuß musterte.
    »Dexter.« Er schüttelte den Kopf. »Was machen Sie bloß für einen Scheiß?«
    Einen ganz kurzen Moment war ich tatsächlich drauf und dran abzustreiten, meine Schwester niedergestochen zu haben. Dann wurde mir klar, dass er mich gar nicht beschuldigte, und in der Tat, er versuchte nur, das Eis zu brechen, ehe er meine Aussage aufnahm.
    »Sie hätte auf mich warten sollen«, meinte er. »Ich bin ihr Partner.«
    »Sie haben Kaffee geholt«, sagte ich. »Sie hielt es für dringend.«
    Coulter betrachtete das Blut auf dem Bürgersteig und schüttelte den Kopf. »Sie hätte zehn Minuten warten können«, sagte er. »Auf ihren Partner.« Er sah mich an. »Das ist eine heilige Verbindung.«
    Ich habe keine Erfahrung mit heiligen Dingen, da ich meist für die andere Mannschaft spiele, deshalb erwiderte ich nur: »Ich schätze, Sie haben recht«, und das schien ihm zu genügen, denn er setzte sich und nahm meine Aussage auf, ohne mehr als ein paar verbitterte Blicke auf die Blutlache zu werfen, die seine heilige Partnerin hinterlassen hatte. Es vergingen äußerst lange zehn Minuten, ehe ich mich empfehlen und zum Krankenhaus fahren konnte.
    Jackson Hospital ist jedem Polizisten, Übeltäter und Opfer im weiten Umkreis Miamis wohl bekannt, da jeder von ihnen entweder schon einmal dort Patient war oder einen Kollegen abgeholt hat, der dort behandelt wurde. Das Traumazentrum dort ist eines der belebtesten des Landes, und falls Übung tatsächlich den Meister macht, muss die Intensivstation des Jackson die beste für Schuss- und Stichwunden, Verletzungen durch stumpfe Gegenstände, Schlagverletzungen und andere böswillig zugefügte medizinische Befunde aller Art sein. Die US Army schickt ihre Feldärzte zur Ausbildung ans Jackson, weil dort über fünftausendmal pro Jahr jemand wegen Verletzungen behandelt werden muss, die jenseits von Bagdad Kampfwunden am nächsten kommen.
    Deshalb wusste ich Debs dort in guten Händen, falls sie es denn lebend erreichte. Die Vorstellung, dass sie sterben könnte, fiel mir äußerst schwer. Ich meine, mir war vollkommen bewusst, dass sie sterben
könnte;
früher oder später passiert das den meisten von uns. Doch konnte ich mir keine Welt vorstellen, in der Deborah nicht umherging und atmete. Das wäre wie eins dieser Tausend-Teile-Puzzles, dem ein großes Stück in der Mitte fehlt. Es schien einfach falsch.
    Verstört wurde mir bewusst, wie sehr ich an sie gewöhnt war. Gewiss hatten wir einander nie zärtliche Gefühle bezeugt oder uns feuchte Blicke zugeworfen, doch sie war immer da gewesen, mein ganzes Leben lang. Während ich zum Jackson fuhr, dämmerte mir, dass die Dinge sich stark verändern würden, falls sie starb, und nicht gerade zum Besten.
    Es gefiel mir nicht, darüber nachzudenken. Es war ein sehr seltsames Gefühl. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so rührselig gewesen zu sein. Es war nicht nur die Erkenntnis,

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