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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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dass sie sterben mochte, damit hatte ich immerhin eine gewisse Erfahrung. Und es lag nicht allein daran, dass sie mehr oder weniger Familie war, denn auch das hatte ich zuvor schon durchgemacht. Doch meine Adoptiveltern starben nach langer Krankheit, so dass ich mich darauf vorbereiten konnte. Dies hier jedoch kam so plötzlich. Vielleicht war es der unerwartete Schock, der mich dazu brachte, beinah so etwas wie emotional zu werden.
    Zum Glück dauerte die Fahrt nicht lang – das Krankenhaus lag nur ein paar Meilen entfernt, und nach wenigen Minuten, in denen ich mit der Hand auf der Hupe durch den Verkehr gerast war – ein Verhalten, das die meisten Fahrer Miamis ohnehin ignorieren –, bog ich auf den Parkplatz ein.
    Alle Krankenhäuser sehen von innen vollkommen gleich aus, bis zur Farbe des Wandanstrichs, und sind insgesamt nicht eben glückliche Orte. Selbstverständlich war ich froh, dass es existierte, doch mich erfüllte nicht gerade ein Gefühl freudvoller Erwartung, als ich das Traumazentrum betrat. Eine Art animalischer Resignation ging von den dort wartenden Menschen aus, und die Andeutung niemals endender, knochenmarkerschütternder Krisen spiegelte sich in den Mienen der umhereilenden Ärzte und Schwestern. All das wurde nur übertroffen von der Klemmbrett-wedelnden Amtlichkeit einer Frau, die mich aufhielt, als ich versuchte, mich durchzudrängen und Deborah zu finden.
    »Sergeant Morgan, Stichverletzung«, gab ich an. »Sie wurde gerade erst eingeliefert.«
    »Wer sind Sie?«, fragte sie.
    In der einfältigen Annahme, ich käme so rasch an ihr vorbei, erwiderte ich: »Nächster Angehöriger«, worauf die Frau tatsächlich lächelte. »Gut«, sagte sie. »Genau der Mann, mit dem ich sprechen muss.«
    »Kann ich sie sehen?«, fragte ich.
    »Nein.« Sie ergriff meinen Ellbogen und führte mich entschlossen zu einem winzigen Büro.
    »Können Sie mir sagen, wie es ihr geht?«
    »Bitte nehmen Sie hier Platz«, sagte sie, während sie mich zu einem Plastikstuhl trieb, der vor einem kleinen Tisch stand.
    »Aber wie geht es ihr?«, beharrte ich und weigerte mich, mich schikanieren zu lassen.
    »Das werden wir in einer Minute wissen«, versicherte sie. »Sobald wir diesen Papierkram erledigt haben. Setzen Sie sich bitte, Mr. – war es Mr. Morton?«
    »Morgan«, korrigierte ich.
    Sie runzelte die Stirn. »Hier steht Morton.«
    »Es muss Morgan heißen«, sagte ich. »M-o-r-g-a-n.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte sie, und die surreale Natur dieses Krankenhauserlebnisses spülte über mich hinweg und drückte mich in den Stuhl, als wäre ich von einem großen, nassen Kissen getroffen worden.
    »Eigentlich schon«, erwiderte ich schwach, während ich mich so weit zurückfallen ließ, wie der wacklige, kleine Stuhl es zuließ.
    »Jetzt muss ich das im PC ändern«, murrte sie stirnrunzelnd. »Kruzitürken.«
    Während die Frau auf ihre Tastatur einhämmerte, klappte ich ein paarmal den Mund auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es war einfach zu viel; selbst ihr lakonisches »Kruzitürken« war eine Beleidigung der Vernunft. Deborahs Leben stand auf dem Spiel – sollte nicht alles, was kreuchte und fleuchte, in ein feuriges Meer eindringlicher Gotteslästerungen ausbrechen? Vielleicht konnte ich einen Besuch von Hernando Meza arrangieren und einen Workshop zur korrekten Linguistik bei nahendem Unheil geben.
    Es dauerte wesentlich länger, als wahrscheinlich oder menschlich erschien, doch zu guter Letzt schaffte ich es, alle Formulare auszufüllen und die Frau zu überzeugen, dass ich als nächster Angehöriger
und
Angestellter der Polizei jedes Recht der Welt hatte, meine Schwester zu besuchen. Doch da die Dinge in diesem Tal der Tränen nun einmal sind, wie sie sind, bekam ich sie nicht zu Gesicht. Ich stand einfach in einem Korridor, spähte durch eine wie ein Bullauge geformte Scheibe und erblickte etwas, was schien wie eine erkleckliche Anzahl von Personen in limonengrüner OP -Kleidung, die sich um einen Tisch scharten und Deborah furchtbare, unvorstellbare Dinge antaten.
    Mehrere Jahrhunderte stand ich nur da und sah zu und zuckte gelegentlich zusammen, wenn eine blutige Hand oder ein Instrument in der Luft über meiner Schwester auftauchte. Der Gestank von Chemikalien, Blut, Schweiß und Angst war überwältigend. Doch schließlich, als ich spüren konnte, wie die Erde erstarb und die Atmosphäre entwich und die Sonne kalt und alt wurde, traten alle einen Schritt vom Tisch zurück, und man

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