Die schöne Kunst des Mordens
irgendein Gesetz, in dem stand, dass Ärzte in diesen Fällen die Wahrheit sagen müssen? Oder betraf das nur die Automechaniker? Gab es medizinisch gesehen überhaupt so etwas wie Wahrheit? Ich hatte keine Ahnung – ich befand mich auf völligem Neuland, und es gefiel mir nicht, doch wie auch immer die Wahrheit lautete, es war wirklich zu früh, um etwas zu sagen. Ich würde einfach warten müssen, und schockierenderweise war ich darin nicht annähernd so gut, wie ich angenommen hatte.
Als mein Magen erneut zu knurren begann, beschloss ich, dass es Abend sein musste, doch ein Blick auf meine Armbanduhr belehrte
mich, dass es erst kurz nach sechzehn Uhr war.
Zwanzig Minuten später traf Chutskys Guru aus Bethesda ein. Ich war unsicher gewesen, was ich erwarten sollte, doch auf jeden Fall entsprach es absolut nicht dem, was ich bekam. Der Typ war ungefähr einen Meter achtundsechzig groß, kahl, mit Schmerbauch und dicker Goldrandbrille, und er wurde von zwei Ärzten begleitet, die Deborah behandelt hatten. Sie folgten ihm wie Pennäler der Königin des Abschlussballs, eifrig darauf bedacht, ihn auf alles aufmerksam zu machen, das ihn glücklich machen könnte. Chutsky sprang auf, als der Mann eintrat.
»Doktor Teidel!«, rief er.
Teidel nickte Chutsky zu und sagte »Raus«, mit einer Kopfbewegung, die auch mich einschloss.
Chutsky nickte und packte mich am Arm. Während er mich aus dem Zimmer zerrte, waren Teidel und seine beiden Satelliten bereits damit beschäftigt, die Decke zurückzuschlagen, um Deborah untersuchen zu können.
»Der Mann ist der Beste«, erklärte Chutsky, und obgleich er nicht erläuterte, worin der Beste, ging ich davon aus, dass es ein medizinischer Bereich war.
»Was wird er unternehmen?«, fragte ich, doch Chutsky zuckte die Achseln.
»Was immer nötig ist. Komm, gehen wir was essen. Wir wollen lieber nicht zusehen.«
Das klang nicht gerade furchtbar beruhigend, doch Chutsky fühlte sich offenbar besser, seit Teidel die Verantwortung übernommen hatte, deshalb folgte ich ihm in ein kleines, überfülltes Café im Erdgeschoss des Parkhauses.
Wir quetschten uns an einen kleinen Ecktisch und aßen mittelmäßige Sandwichs, und obwohl ich ihn nicht darum bat, erzählte Chutsky mir ein wenig über den Arzt aus Bethesda.
»Der Mann ist erstaunlich«, sagte er. »Vor zehn Jahren, du weißt ja? Er hat mich wieder zusammengeflickt. Glaub mir, ich war noch schlechter dran als Deborah, doch er hat alle Teile an die richtigen Stellen und wieder zum Funktionieren gebracht.«
»Was fast genauso wichtig ist«, bemerkte ich, und Chutsky nickte, als hörte er mir zu.
»Ich schwöre bei Gott«, fuhr er fort. »Teidel ist der Beste. Hast du gesehen, wie die anderen Ärzte sich verhalten haben?«
»Als wollten sie ihm die Füße waschen und salben«, antwortete ich.
Chutsky gönnte mir eine Silbe eines höflichen Lachens, »ha« – und ein ebenso kurzes Lächeln. »Jetzt wird sie wieder gesund. Ganz bestimmt.«
Ich konnte nicht erkennen, ob er versuchte, sich oder mich zu überzeugen.
13
A ls wir zurückkehrten, weilte Dr. Teidel im Pausenraum des Personals. Er saß an einem Tisch und trank eine Tasse Kaffee, was befremdlich und unangemessen schien, wie ein Hund, der mit einer Pfote voll Spielkarten am Tisch sitzt.
Wenn Teidel ein übernatürlicher Erlöser war, wie konnte er dann gleichzeitig gewöhnliche menschliche Dinge tun? Als wir eintraten, hob er den Kopf; auch seine Augen waren menschlich, müde, nicht der kleinste Funke göttlicher Eingebung brannte darin, und seine ersten Worte erfüllten mich ebenfalls nicht gerade mit Ehrfurcht.
»Es ist zu früh, um mit Sicherheit etwas sagen zu können«, erklärte er Chutsky, und ich war dankbar für die kleine Abweichung vom ärztlichen Standardmantra. »Der Höhepunkt der Krise steht noch bevor, und damit könnte sich alles ändern.« Er schlürfte etwas Kaffee. »Sie ist jung und kräftig. Die Ärzte hier sind sehr gut. Sie ist in guten Händen. Doch eine Menge schiefgehen kann trotzdem.«
»Können Sie irgendetwas tun?«, fragte Chutsky, sehr unsicher und demütig, als bäte er Gott um ein neues Fahrrad.
»Sie meinen eine magische Operation oder eine phantastische neue Behandlung?« Teidel trank einen Schluck Kaffee. »Nein. Nichts. Sie müssen einfach abwarten.« Er sah auf seine Uhr und stand auf. »Ich muss zum Flughafen.«
Chutsky humpelte einen Schritt vor und schüttelte Teidel die Hand. »Danke, Doktor. Ich bin Ihnen sehr
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