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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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einschränken. Doch wen sonst gab es? Sie hatte keine anderen Angehörigen. Nur den treuen, diensteifrigen Dexter, um sie im Rollstuhl herumzuschieben und ihr Breichen zu kochen und ihr sanft den Mund abzuwischen, wenn sie sabberte. Ich würde sie für den Rest ihres Lebens pflegen müssen, bis ins hohe Alter, wir beide vor dem Fernseher, seichte Serien konsumierend, während der Rest der Welt sich fröhlich Mord und Brutalität hingab, aber ohne mich.
    Kurz bevor ich von einer Welle feuchten Selbstmitleids überschwemmt wurde, fiel mir Kyle Chutsky ein. Die Bezeichnung »Deborahs Freund« war nicht ganz korrekt, da sie schon über ein Jahr zusammenlebten und es deswegen ein wenig mehr zu sein schien. Er war mindestens zehn Jahre älter als Debs, sehr groß und abgebrüht, und ihm fehlten die linke Hand und der linke Fuß, Ergebnis einer Begegnung mit demselben Amateurchirurgen, der auch Sergeant Doakes modifiziert hatte.
    Um mir gegenüber fair zu bleiben, was ich außerordentlich wichtig finde, dachte ich nicht nur an ihn, weil ich jemanden suchte, der sich um eine hypothetisch hirngeschädigte Deborah kümmerte. Vielmehr ging mir auf, dass er vermutlich gern über die Tatsache informiert wäre, dass Deborah auf der Intensivstation lag.
    Darum löste ich mein Handy aus der Gürtelschlaufe und rief ihn an. Er meldete sich fast sofort.
    »Hallo?«
    »Kyle, hier ist Dexter.«
    »Hi, Kumpel«, grüßte er in seinem künstlich fröhlichen Tonfall. »Was liegt an?«
    »Ich bin bei Deborah. In der Intensivstation des Jackson.«
    »Was ist passiert?«, fragte er nach kurzem Zögern.
    »Sie wurde niedergestochen. Sie hat eine Menge Blut verloren.«
    »Ich bin unterwegs«, sagte er und legte auf.
    Es war reizend, dass Chutsky genug an ihr lag, um sich sofort auf den Weg zu machen. Vielleicht würde er mir mit Deborahs Breichen helfen und sich beim Rollstuhlschieben mit mir abwechseln. Es ist immer gut, jemanden zu haben.
    Was mich daran erinnerte, dass ich selbst jemanden hatte – oder vielmehr, dass jemand mich hatte. Wie auch immer, Rita würde wissen wollen, dass ich später kam, ehe sie Fasanensoufflé für mich kochte. Ich rief sie bei der Arbeit an, berichtete kurz, was geschehen war, und legte wieder auf, als sie gerade in eine Litanei von O-Gotts ausbrechen wollte.
    Ungefähr fünfzehn Minuten später stürmte Chutsky ins Zimmer, gefolgt von einer Schwester, die sich offenbar vergewissern wollte, dass er mit allem zufrieden war, von der Lage des Zimmers bis hin zum Arrangement der Kanülen. »Da ist sie«, sagte die Schwester.
    »Danke, Gloria«, antwortete Chutsky, ohne etwas anderes als Deborah wahrzunehmen. Die Schwester schwebte ängstlich noch ein paar Augenblicke herum und verschwand dann verunsichert.
    In der Zwischenzeit trat Chutsky zum Bett und ergriff Deborahs Hand – erfreulich zu wissen, dass ich recht gehabt hatte; ihre Hand zu halten war tatsächlich das korrekte Vorgehen.
    »Was ist passiert, Kumpel?«, fragte er, während er auf Deborah hinunterstarrte.
    Ich gab ihm eine kurze Zusammenfassung, und er hörte zu, ohne mich anzusehen, unterbrach das Halten ihrer Hand nur einmal kurz, um eine Strähne aus ihrer Stirn zu streichen. Als ich fertig war, nickte er geistesabwesend und fragte: »Was sagen die Ärzte?«
    »Dass sie noch nichts sagen können.«
    Das wehrte er mit einer ungeduldigen Bewegung ab, für die er den glitzernden Silberhaken benutzte, der ihm die linke Hand ersetzte. »Das sagen sie immer«, meinte er. »Was noch?«
    »Bleibende Schäden sind nicht ausgeschlossen«, erklärte ich. »Auch ein Hirnschaden.«
    Er nickte. »Sie hat eine Menge Blut verloren«, stellte er fest. Es war keine Frage, aber ich antwortete trotzdem.
    »Das ist richtig.«
    »Ich habe einen Typen vom Bethesda herbestellt«, sagte Chutsky. »Er wird in ein paar Stunden hier sein.«
    Was sollte ich darauf antworten? Einen Typen? Von Bethesda? Waren das gute Nachrichten, und falls ja, warum? Mir fiel absolut nichts ein, was Bethesda irgendwie von Cleveland unterschieden hätte, außer, dass es in Ohio lag statt in Maryland. Was für ein Typ sollte von dort kommen? Und zu welchem Zweck? Doch es gelang mir nicht, eine entsprechende Frage zu formulieren. Aus irgendeinem Grund arbeitete mein Verstand heute nicht mit seiner üblichen eisigen Effektivität.
    Und so sah ich einfach zu, wie Chutsky einen zweiten Stuhl an die andere Seite des Betts zog, wo er sich hinsetzen und Deborahs Hand halten konnte. Nachdem er Platz

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