Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
Vom Netzwerk:
begann, sie auf die Tür zuzuschieben. Ich wich zur Seite und beobachtete, wie man sie durch die Türen und den Korridor hinunterrollte, und dann ergriff ich den Arm eines der älteren Männer, die ihr folgten. Es mag ein Versehen gewesen sein: Meine Hand berührte etwas Kaltes, Feuchtes und Klebriges, und als ich sie wegzog, war sie voller Blut. Einen Moment fühlte ich mich schwindlig und unrein, Panik stieg in mir auf, doch als der Chirurg sich zu mir umdrehte, kam ich wieder zu mir.
    »Wie geht es ihr?«, fragte ich.
    Er sah den Flur hinunter zu meiner Schwester und dann wieder mich an. »Wer sind Sie?«
    »Ihr Bruder«, erwiderte ich. »Wird sie wieder gesund?«
    Sein Halblächeln war nicht wirklich herzlich. »Es ist zu früh, um etwas zu sagen. Sie hat schrecklich viel Blut verloren. Sie könnte wieder gesund werden, doch es könnten Komplikationen auftreten. Wir wissen es einfach noch nicht.«
    »Was für Komplikationen?«, fragte ich. Mir schien das eine sehr vernünftige Frage, doch er seufzte gereizt und schüttelte den Kopf.
    »Alles, von einer Infektion bis zu einem Hirnschaden«, sagte er. »Mehr wissen wir erst in ein oder zwei Tagen, deshalb müssen Sie einfach abwarten, verstehen Sie?« Er lächelte die andere Hälfte und ging davon, in die entgegengesetzte Richtung des Ortes, zu dem man Deborah gebracht hatte.
    Ich sah ihm hinterher, während ich über Hirnschäden nachdachte. Dann drehte ich mich um und folgte dem Bett, auf dem man Deborah den Flur hinuntergeschoben hatte.

12
    D eborah war von einer solchen Unmenge an Geräten umgeben, dass ich sie im ersten Moment in dem summenden, piependen Gewirr nicht ausmachen konnte. Sie lag reglos im Bett, angeschlossen an Schläuche, das Gesicht halb verdeckt von einer Sauerstoffmaske und so fahl wie die Laken. Ich stand eine Minute dort und betrachtete sie, unsicher, welches Benehmen jetzt von mir erwartet wurde. Ich hatte mich vollkommen darauf konzentriert, zu ihr zu gelangen, und jetzt war ich hier und konnte mich nicht erinnern, jemals etwas darüber gelesen zu haben, welches Verhalten angemessen war, wenn man seine Nächsten und Liebsten in der Intensivstation besuchte. Sollte ich ihre Hand halten? Das schien recht wahrscheinlich, doch sicher war ich nicht, außerdem steckte in der mir nächstgelegenen Hand eine Kanüle; es war wohl nicht angeraten, diese womöglich zu verschieben.
    Stattdessen entdeckte ich einen Stuhl, der unter einer der lebenserhaltenden Maschinen versteckt war. Ich schob ihn so nah
     ans Bett, wie mir angebracht schien, und setzte mich, um zu warten.
    Es waren nur wenige Minuten vergangen, als ich von der Tür ein Geräusch hörte. Ich drehte mich um und sah einen schlanken schwarzen Polizisten, den ich flüchtig kannte; Wilkins. Er steckte den Kopf durch die Tür. »Hey, Dexter, richtig?« Ich nickte und hielt meinen Ausweis hoch.
    Wilkins nickte in Richtung Deborah. »Wie geht es ihr?«
    »Es ist zu früh, sie können noch nichts sagen«, erwiderte ich.
    »Mann, das tut mir leid.« Er zuckte die Achseln. »Der Captain wollte, dass jemand sie bewacht, deshalb bin ich gekommen.«
    »Danke«, sagte ich, und er drehte sich um und bezog Stellung an der Tür.
    Ich versuchte, mir auszumalen, wie das Leben ohne Deborah sein würde. Allein die Vorstellung war beunruhigend, obwohl ich nicht sagen konnte, weshalb. Mir fielen keinerlei riesige oder offensichtliche Veränderungen ein, was mir ein wenig peinlich war, deshalb gab ich mir ein bisschen mehr Mühe. Vermutlich würde ich den nächsten
coq au vin
noch warm essen können. Ohne ihre weltberühmten Armknüffe hätte ich weniger blaue Flecken. Und ich musste nicht mehr fürchten, von ihr verhaftet zu werden. Das alles war gut – weshalb machte ich mir dann Sorgen?
    Irgendwie war diese Logik nicht so wahnsinnig überzeugend. Was, wenn sie überlebte, aber einen Hirnschaden zurückbehielt? Das konnte sich durchaus auf ihre Karriere bei den Exekutivorganen auswirken. Vielleicht benötigte sie dann Vollzeitpflege, Windeln, musste mit dem Löffel gefüttert werden – nichts davon vertrug sich besonders gut mit ihrem Beruf. Und wer würde sich der endlosen, ermüdenden Fron ihrer Pflege unterziehen? Ich wusste nicht besonders viel über Krankenversicherungen, doch es genügte, um mir bewusst zu sein, dass Vollzeitpflege nicht zu den Dingen gehört, die sie leichten Herzens bewilligen. Und wenn ich mich selbst um sie kümmern musste? Das würde meine freie Zeit empfindlich

Weitere Kostenlose Bücher