Die schöne Kunst des Mordens
Familienleben steckte.
Lear war nicht beeindruckt. Er musterte mich sehr streng. »
Kid
napping«, sagte er. »Wie in: Ihre
Kids.
«
Er starrte mich noch einen Moment an, um sich zu vergewissern, dass ich verstanden hatte. Er drehte sich zu Rita um und hob einen mahnenden Finger. »Sorgen Sie dafür, dass Sie alle untersucht werden!« Dann sah er mich wieder ausdruckslos an. »Und Sie ziehen sich besser an, ja?« Damit drehte er sich um, trat hinaus auf die Straße und begann, in Richtung der Wagen zu gestikulieren, um den Verkehr in Gang zu setzen.
»Ich glaube, ich habe alle erwischt«, meinte Rita mit einem letzten Klaps auf meinen Rücken. »Gib mir dein Hemd.« Sie nahm es, schüttelte es heftig aus und reichte es zurück. »Hier, zieh das lieber wieder an«, sagte sie, und obgleich ich absolut nicht begriff, warum ganz Miami plötzlich so besessen davon war, teilweise Nacktheit zu bekämpfen, zog ich das Hemd wieder an, nachdem ich es misstrauisch auf eventuelle Restameisen untersucht hatte.
Als ich den Kopf aus dem Kragen ins Tageslicht streckte, hatte Rita bereits Cody und Astor wieder an den Händen gepackt. »Dexter«, stammelte sie. »Du hast gesagt – wie konntest du, ich meine … Warum bist du hier?«
Ich war nicht sicher, wie wenig ich ihr erzählen und dabei glaubwürdig bleiben konnte, und unglücklicherweise glaubte ich nicht, dass mir an den Kopf zu greifen und zu stöhnen helfen würde – ich war ziemlich sicher, dies gestern zur Gänze ausgereizt zu haben. Zu sagen, dass der Passagier und ich übereingekommen waren, dass Weiss hierherkommen und die Kinder ergreifen würde, weil es das war, was wir an seiner Stelle getan hätten, würde vermutlich auch nicht begeistert aufgenommen werden. Deshalb entschied ich mich, es mit einer recht verwässerten Version der Wahrheit zu versuchen. »Es, äh – das war der Typ, der gestern das Haus in die Luft gejagt hat«, erklärte ich. »Ich hatte so eine Ahnung, dass er es noch mal versuchen würde.« Rita sah mich nur an. »Ich meine, sich die Kinder schnappen, um mich zu treffen.«
»Aber du bist nicht mal ein richtiger Polizist«, wandte Rita mit einer gewissen Wut in der Stimme ein, als hätte jemand eine eiserne Regel gebrochen. »Warum sollte er es auf dich abgesehen haben?«
Ein gutes Argument, zumal in ihrer Welt – und damit im Großen und Ganzen auch in meiner – Blutspurenexperten nicht in Blutfehden umkamen. »Ich glaube, es geht um Deborah«, meinte ich. Sie war immerhin eine
echte
Polizistin, außerdem war sie nicht hier, um mir zu widersprechen. »Sie war hinter ihm her, als sie niedergestochen wurde, und ich war dabei.«
»Und deshalb versucht er jetzt, meinen Kindern weh zu tun? Weil Deborah ihn verhaften wollte?«
»So ist der kriminelle Verstand nun mal«, sagte ich. »Er arbeitet anders als deiner.« Aber selbstverständlich arbeitete er wie
meiner,
und in diesem Moment war dieser kriminelle Verstand mit dem Gedanken beschäftigt, was Weiss wohl in seinem Wagen zurückgelassen hatte. Er hatte nicht erwartet, zu Fuß fliehen zu müssen – durchaus möglich, dass sich in seinem Wagen ein Hinweis fand, wohin er sich gewandt hatte und wie sein nächster Zug aussehen würde. Und mehr – vielleicht fand sich dort auch ein grauenvoller Hinweis, der mit blutigem Finger in meine Richtung wies. Bei der Vorstellung wurde mir klar, dass ich seinen Wagen umgehend durchsuchen musste, alldieweil Lear noch beschäftigt war und ehe weitere Polizisten auf dem Schauplatz erschienen.
Da Rita mich nach wie vor erwartungsvoll ansah, fuhr ich fort: »Er ist verrückt. Wir werden vielleicht nie begreifen, wie er denkt.« Sie wirkte fast überzeugt, deshalb wies ich in dem Glauben, dass ein rascher Abgang häufig das stärkste Argument ist, mit dem Kopf auf Weiss’ Auto. »Ich sollte mal nachsehen, ob er etwas zurückgelassen hat. Ehe der Abschleppwagen kommt.« Und ich ging um die Haube von Ritas Wagen und zur Fahrertür von Weiss’ Auto, die offen stand.
Auf den Vordersitzen lag das übliche Sammelsurium an Autoabfall. Kaugummipapierchen auf dem Boden, auf dem Sitz eine Wasserflasche, im Aschenbecher eine Handvoll Vierteldollarmünzen für Mautgebühren. Keine Fleischermesser, Knochensägen oder Bomben; überhaupt nichts von Interesse. Ich wollte gerade in den Wagen schlüpfen, um das Handschuhfach zu öffnen, als ich einen großen Notizblock im Heck bemerkte. Es war ein Skizzenbuch, aus dem die Ränder einiger loser Blätter ragten,
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