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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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Schulgelände zu gelangen, würde der Wächter oder ein Polizist einschreiten. Versuchte man es während des Bringens oder Abholens der Kinder, würde man von Hunderten von Lehrern, Müttern oder Schülerlotsen aufgehalten, mindestens aber zu heftig behindert, um problemlos ans Ziel zu gelangen.
    Deshalb musste Weiss ganz offensichtlich früh in Stellung gehen. Und ich musste herausfinden, wo. Ich setzte meine Schwarze-Gedanken-Mütze auf und umfuhr noch einmal ganz langsam das Gelände. Falls ich mir jemanden aus der Schule schnappen wollte, wie würde ich vorgehen? Erstens musste es beim Bringen oder Abholen passieren, da die Sicherheitsmaßnahmen der Schule während des Unterrichts praktisch nicht zu umgehen waren. Was wiederum Haupteingang bedeutete – weshalb natürlich die Sicherheitskräfte dort konzentriert waren, vom Polizisten im Dienst bis zum echt gemeinen Werkkundelehrer.
    Schaffte man es dennoch irgendwie in den inneren Bereich und schlug zu, während sich die Wachsamkeit der Sicherheitskräfte auf das Haupttor konzentrierte, sah die Sache schon anders aus. Doch dazu musste man den Zaun überwinden, und dies an einer Stelle, an der man möglichst unbemerkt blieb – oder von der man so rasch in die Schule verschwinden konnte, dass es nicht darauf ankam, ob man gesehen wurde.
    Soweit ich das beurteilen konnte, existierte keine solche Stelle. Erneut fuhr ich am Zaun entlang; nichts. Abgesehen vom Eingangsbereich standen die Gebäude ein gutes Stück vom Zaun entfernt. Die einzige Schwachstelle bildete der Teich. Dort wuchsen zwischen Zaun und Wasser einige Kiefern und Büsche, doch das war zu weit von der Schule entfernt. Es war unmöglich, den Zaun zu überwinden und über die Fläche zu laufen, ohne gesehen zu werden.
    Wenn ich keinen Verdacht erregen wollte, durfte ich keine weitere Rundfahrt riskieren. Ich lenkte den Wagen in eine Straße südlich der Schule, parkte und dachte nach. Meine scharfsinnigen Schlussfolgerungen hatten mich zu der Überzeugung geführt, dass Weiss versuchen würde, der Kinder habhaft zu werden, hier, an diesem Nachmittag, und die heiße und unwiderlegbare Woge der Gewissheit, die vom Passagier ausging, unterstützte meine eiskalte, makellose Logik. Doch wie? Von meinem Parkplatz aus konnte ich die Schule überblicken, und ich hatte ganz stark das Gefühl, dass Weiss von einer anderen Stelle aus dasselbe tat. Doch er würde nicht einfach durch den Zaun brechen und auf sein Glück vertrauen. Er hatte beobachtet, Notizen gemacht und einen Plan entwickelt. Und mir blieb ungefähr eine halbe Stunde, um diesen Plan zu erraten und mir einfallen zu lassen, wie ich ihn aufhalten konnte.
    Ich schaute hinüber zu der Baumgruppe am See. Dies war der einzige Punkt, an dem es so etwas wie Deckung gab. Doch was nützte das, da sie vor dem Zaun endete. Dann erregte etwas zu meiner Linken meine Aufmerksamkeit, und ich drehte mich um.
    Ein weißer Lieferwagen fuhr vor und parkte vor dem verriegelten Tor. Eine Gestalt in einem limonengrünen Hemd mit passender Kappe und einem Werkzeugkoffer in der Hand stieg aus. Sie war auch aus großer Entfernung deutlich zu sehen. Die Gestalt lief zum Tor und ging vor der Kette in die Knie.
    Natürlich. Die beste Methode, unsichtbar zu werden, ist totale, vollkommene Sichtbarkeit. Ich bin Teil der Landschaft; ich gehöre hierher. Ich bin nur hier, um den Zaun zu reparieren, und es besteht nicht der geringste Anlass, mir Beachtung zu schenken, haha.
    Ich ließ den Motor an. Während ich langsam an der Umzäunung entlangfuhr und dabei den grünen Fleck im Auge behielt, spürte ich, wie sich eisige Schwingen in mir entfalteten. Ich hatte ihn – genau dort, wo ich ihn vermutet hatte. Doch selbstverständlich konnte ich nicht einfach parken und herausspringen; ich musste mich vorsichtig nähern, da er gewiss wusste, wie mein Wagen aussah, und ich davon ausgehen konnte, dass er die Augen offen hielt und sich der Möglichkeit Dexters bewusst war.
    Ganz ruhig jetzt, denk nach; verlass dich nicht darauf, dass die dunklen Schwingen dich über alle Hindernisse tragen. Sieh dich um, achte auf Kleinigkeiten: Zum Beispiel stand Weiss mit dem Rücken zum Lieferwagen – und der Lieferwagen parkte an der Seite, mit dem Kühler zum Zaun, und versperrte die Sicht auf den Teich. Weil sich ihm von dieser Seite eigentlich nichts nähern konnte.
    Was selbstverständlich bedeutete, dass Dexter genau dies tun würde.
    Mit geringem Tempo und sorgsam darauf bedacht, keinerlei

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