Die schöne Kunst des Mordens
in dem Stil, in dem Weiss bereits gearbeitet hatte. Auf einer war eine Frau mit sechs Brüsten; woher die zusätzlichen stammten, wurde nicht erwähnt. Sie trug einen extravaganten, mit Federn besetzten Hut und einen Tanga, ein Kostüm, das wir in Paris im Moulin Rouge gesehen hatten. Es verbarg nahezu nichts, vermittelte aber dennoch einen glamourösen Eindruck, und die Wirkung des paillettenbesetzten Oberteils, das alle sechs Brüste umspannte, war absolut sensationell.
Auf der nächsten Seite war ein Blatt im Briefformat in den Bund geklemmt. Ich nahm es heraus und entfaltete es. Es handelte sich um einen Flugplan der Cubana de Aviación, einen Computerausdruck, der alle Flüge von Havanna nach Mexiko auflistete. Er klemmte neben der Zeichnung eines Mannes mit Strohhut und einem Ruder in der Hand. Jemand hatte einen Strich hindurchgezogen und daneben in fetten, ordentlichen Blockbuchstaben FLÜCHTLING geschrieben. Ich schob den Ausdruck von Aviación wieder zurück und blätterte um. Die nächste Seite zeigte einen Mann mit einer klaffenden Höhlung im Körper, die anscheinend mit Zigarren und Rumflaschen gefüllt worden war. Er saß in einem altmodischen Cabrio mit heruntergeklapptem Verdeck.
Aber die bei weitem interessantesten Zeichnungen – zumindest für mich – enthielt die Serie, in deren Mittelpunkt der verwegene, grübchenbewehrte Dexter stand. Es spricht vermutlich nicht für mich, dass ich diese Bilder so entschieden denjenigen dahingemetzelter Fremder vorzog, doch liegt etwas fraglos Faszinierendes darin, Porträts von sich zu betrachten, die man im Skizzenblock eines mordenden Psychopathen entdeckt hat. Wie auch immer, es war diese finale Serie, die mir den Atem raubte. Und falls Weiss sie tatsächlich geschaffen hatte, würde sie mir sowohl im wörtlichen Sinn als auch auf ewig den Atem rauben.
Denn diese außerordentlich detailreich ausgeführten Zeichnungen stammten aus der Filmschleife, die mich bei der Arbeit an Doncevic zeigte. Es waren akkurate Kopien, die mit beinah absoluter Genauigkeit das zeigten, was ich auf dem Video so viele Male betrachtet hatte; beinahe. Denn bei mehreren Bildern hatte Weiss einen leicht veränderten Blickwinkel verwendet, so dass das Gesicht sichtbar war.
Mein Gesicht.
Auf dem Körper, der das Massaker anrichtete.
Und um die Drohung zu verdeutlichen, hatte Weiss unter jedes Bild PHOTOSHOP geschrieben und unterstrichen. Ich bin nicht sonderlich firm in Videotechnologien, doch kann ich wie jeder andere auch zwei und zwei zusammenzählen. Photoshop ist ein Bearbeitungsprogramm, mit dem man Bilder verändern kann, beispielsweise indem man Dinge hineinkopiert, die nicht hineingehören. Ich musste annehmen, dass man dasselbe auch mühelos mit Videos tun konnte. Und ich wusste, dass Weiss mit seinen Videos mehrere bösartige Lebensspannen zu füllen imstande wäre – Videos von mir und Cody, Gaffern an Tatorten und der Dunkle Passagier mochte wissen, von was noch.
Er plante ganz eindeutig, den Clip von mir und Doncevic so zu bearbeiten, dass mein Gesicht zu erkennen war. Und so wie ich Weiss kannte – oder zumindest seine Arbeit –, tat er das nicht aus Langeweile. Er würde damit ein reizendes Dekorationsobjekt schaffen, das mich zerstören würde. Und das nur wegen eines Stündchens des Herumtollens mit seinem Herzblatt Doncevic.
Natürlich war ich schuldig, und ich hatte es ziemlich genossen. Doch das hier schien Betrug – es war unfair, im Nachhinein mein Gesicht einzusetzen, oder? Besonders, da dies, nachträglich oder nicht, eine Menge unschöner Fragen an mich zur Folge haben würde.
Die letzte Zeichnung war die erschreckendste von allen. Sie zeigte einen riesigen und hinterhältig lächelnden Dexter mit erhobener Säge, projiziert auf die Fassade eines großen Gebäudes, während zu seinen Füßen ein halbes Dutzend geschmückter Leichen ruhte, verziert mit Accessoires der Sorte, die Weiss bisher bei anderen Toten verwendet hatte. Das Ganze wurde von zwei Reihen majestätischer Palmen gesäumt. Es war ein wunderschönes Bild tropischer und künstlerischer Pracht, das mir, wäre ich nicht so bescheiden, Tränen in die Augen getrieben hätte.
Aus Weiss’ Blickwinkel betrachtet ergab das durchaus Sinn. Man nehme einen bereits existierenden Film, verändere ihn subtil, bis
meine
werte Person in der Hauptrolle auftritt, und projiziere ihn auf ein äußerst öffentliches Gebäude. Somit wird nicht mehr der geringste Zweifel bestehen bleiben, dass wir
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