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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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zusammengehalten von einem Gummiband, und als ich es erblickte, rief eine Stimme aus dem Hintergrund von Dexters düsterer Denkkammer:
Bingo!
    Ich zog mich aus dem Wagen zurück und versuchte die Heckklappe zu öffnen. Sie klemmte, beim Aufprall hatte Rita sie ziemlich beschädigt. Deshalb kniete ich mich auf den Fahrersitz, beuge mich nach hinten, ergriff den Block und zog ihn heran. Ganz in der Nähe heulte eine Sirene, und ich entfernte mich von Weiss’ Wagen und ging, den Block an die Brust gepresst, zu Rita hinüber.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Schauen wir mal.«
    Ich entfernte voller Unschuld das Gummiband. Ein loses Blatt flatterte zu Boden, und Astor stürzte sich darauf. »Dexter«, sagte sie. »Der sieht aus wie du.«
    »Das ist unmöglich«, erwiderte ich, während ich ihr das Blatt aus der Hand nahm.
    Doch es war möglich. Die Zeichnung, hübsch, sehr gut ausgeführt, zeigte einen Mann von der Taille aufwärts in einer Art pseudo-heroischer Rambopose, der ein langes Messer hielt, von dem Blut tropfte, und es bestand nicht der geringste Zweifel.
    Das war ich.

27
    M ir waren nur wenige Sekunden vergönnt, die treffliche Ähnlichkeit mit meiner Person zu bewundern. Dann, in rascher Folge, staunte Cody: »Cool«, Rita sagte: »Zeig mal«, und – zum Glück – traf der Krankenwagen ein. In den nachfolgenden Wirren gelang es mir, das Porträt zurück in den Skizzenblock zu schieben und meine kleine Familie zu einer kurzen, doch gründlichen Untersuchung hinüber zu den Sanitätern zu geleiten. Obgleich diese es nur zögernd eingestanden, konnten sie weder abgetrennte Gliedmaßen noch fehlende Schädel oder gequetschte innere Organe entdecken und waren deshalb letztlich gezwungen, Rita und die Kinder gehen zu lassen, allerdings nicht ohne düstere Warnungen, was zu beachten sei, nur für den Fall.
    Die Schäden an Ritas Wagen waren größtenteils kosmetischer Natur – ein Scheinwerfer war gesprungen, ein Kotflügel eingedrückt –, deshalb packte ich die drei ins Auto. Normalerweise brachte Rita die Kinder zu einer Nachmittagsbetreuung und fuhr zurück zur Arbeit, doch besagt ein ungeschriebenes Gesetz, dass man den Rest des Tages frei hat, so man selbst und die Kinder von einem Wahnsinnigen überfallen werden; weshalb Rita beschloss, mit ihnen nach Hause zu fahren, um sich von dem Schock zu erholen. Und da Weiss noch irgendwo dort draußen lauerte, beschlossen wir, dass es besser war, wenn ich ebenfalls nach Hause fuhr, um sie zu beschützen. Ich winkte ihnen bei der Abfahrt nach und begab mich sodann auf den langen und ermüdenden Marsch zu der Stelle, an der ich mein Auto geparkt hatte.
    Mein Knöchel pochte, und der Schweiß, der mir über den Rücken rann, reizte die Ameisenbisse, deshalb blätterte ich im Gehen in Weiss’ Skizzenblock und betrachtete die Zeichnungen, um mich abzulenken. Der Schock, den mein Porträt ausgelöst hatte, war verflogen, und ich musste herausfinden, was dahintersteckte – und wohin es Weiss führte.
    Ich war ziemlich sicher, dass es sich nicht um eine Laune handelte, etwas, was er geistesabwesend hingekritzelt hatte, während er telefonierte. Mit wem sollte er auch reden? Sein Geliebter Doncevic war tot, und seinen lieben Freund Wimble hatte er höchstpersönlich umgebracht. Außerdem war alles, was er bisher getan hatte, stets auf ein spezielles Ziel gerichtet gewesen, und ich hätte ausnahmslos auf jedes dieser Ziele verzichten können.
    So studierte ich erneut mein Porträt. Ich nehme an, es war idealisiert – ich konnte mich nicht erinnern, einen derart definierten Waschbrettbauch bemerkt zu haben, als ich das letzte Mal nachgeschaut hatte. Und wie eine große und glückliche Bedrohung zu wirken, zählte zu den Dingen, die ich gemeinhin zu vermeiden suchte. Doch musste ich zugeben, dass die Zeichnung einen gewissen Reiz hatte, man sie womöglich sogar rahmen sollte.
    Ich blätterte durch die restlichen Seiten. Recht interessantes Material, und die Zeichnungen waren gut, besonders die von mir. Ich war überzeugt, nicht ganz so nobel, glücklich und wild auszusehen, doch vielleicht fiel das unter künstlerische Freiheit. Und während ich die übrigen Zeichnungen betrachtete und allmählich zu begreifen begann, worauf das Ganze hinauslief, war ich absolut sicher, dass es mir nicht gefiel, ganz gleich, wie schmeichelhaft sie waren. Nicht im Geringsten.
    Viele der Zeichnungen zeigten Dekorationsideen für anonyme Leichen,

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