Die schöne Kunst des Mordens
erklärte er. »Warum sollte er das tun?«
»Ich habe absolut keine Ahnung«, versicherte ich.
»Lesen Sie manchmal, Dexter?«, fragte er, und die Art, wie er meinen Vornamen betonte, machte mich nervös – es klang, als redete er mit einem Verdächtigen. Was er natürlich tat, doch hoffte ich nach wie vor, dass er mich nicht als solchen betrachtete.
»Lesen? Nein, eigentlich nicht so häufig. Warum?«
»Ich lese gern.« Und dann wechselte er anscheinend den Gang und fuhr fort: »Einmal ist keinmal, zweimal ist Zufall, dreimal ist eine Verschwörung.«
»Wie bitte«, fragte ich. Ich hatte irgendwo bei »ich lese gern« den Faden verloren.
»Das ist aus
Goldfinger
«, erläuterte er. »Wo er zu James Bond sagt, er hätte ihn dreimal an Orten angetroffen, an denen er nichts zu suchen hat, und das könne kein Zufall sein.« Er trank, wischte sich den Mund, beobachtete, wie mir der Schweiß ausbrach. »Ich liebe das Buch. Ich habe es bestimmt drei- oder viermal gelesen.«
»Ich kenne es nicht«, antwortete ich höflich.
»Und nun sind Sie hier«, fuhr er fort. »Und Sie waren bei dem Haus, das in die Luft geflogen ist. Zwei Orte, an denen Sie nichts zu suchen hatten. Und da soll ich glauben, das wäre Zufall?«
»Was sonst sollte es sein?«
Er sah mich nur starr an. Dann trank er wieder einen Schluck Limonade. »Keine Ahnung«, räumte er schließlich ein. »Aber ich weiß, was Goldfinger sagen würde, wenn es zu einem dritten Mal kommen sollte.«
»Nun, dann wollen wir hoffen, dass dies nicht geschieht«, sagte ich und meinte es diesmal vollkommen aufrichtig.
»Tja«, sagte er. Er nickte, steckte den Zeigefinger in den Hals der Flasche und richtete sich auf. »Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Er wandte sich ab, umrundete seinen Wagen, stieg ein und fuhr davon.
Würde mich die Beobachtung menschlicher Marotten etwas mehr faszinieren, hätte mich diese Entdeckung neuer Tiefen in Detective Coulter gewisslich erfreut. Wie wunderbar, festzustellen, dass er ein Verehrer der literarischen Künste war. Doch die Freude an dieser Entdeckung wurde dadurch geschmälert, dass ich nicht das geringste Interesse daran hatte, was Coulter in seiner Freizeit tat, Hauptsache, er tat es fern von mir. Ich hatte soeben erst die permanente Dexter-Überwachung durch Sergeant Doakes beendet, und nun kam Coulter, um seine Stelle einzunehmen. Es war, als sei ich das Opfer irgendeiner seltsamen und sinistren Dexter-verfolgenden tibetanischen Sekte – wann immer der Dexter hassende Lama starb, wurde ein neuer geboren, der ihn ersetzte.
Aber im Augenblick konnte ich nur wenig dagegen tun. Ich stand im Begriff, ein bedeutendes Kunstwerk zu werden, und dieses Problem war momentan wesentlich dringlicher. Ich stieg in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr nach Hause.
Dort war ich zunächst gezwungen, mehrere Minuten vor der Tür zu stehen und zu klopfen, da Rita beschlossen hatte, die Sicherheitskette vorzulegen. Ich durfte mich vermutlich glücklich schätzen, dass sie die Tür nicht noch zusätzlich mit Couch und Kühlschrank verbarrikadiert hatte. Wahrscheinlich, weil sie die Couch noch brauchte; sie hatte sich mit den Kindern darauf zusammengerollt, eins an jeder Seite, und nachdem sie mir geöffnet hatte – recht widerstrebend –, nahm sie ihre Position wieder ein und schlang einen beschützenden Arm um jedes Kind. Codys und Astors identische Mienen verrieten gereizte Langeweile. Offensichtlich gehörte sich panisch im Wohnzimmer zusammenzurollen nicht zu der Art Eltern-Kind-Beziehungspflege, die sie zu schätzen wussten.
»Du hast lange gebraucht«, bemerkte Rita, als sie die Kette wieder einhängte.
»Ich musste mit einem Detective sprechen.«
»Nun, ja«, sagte sie, während sie wieder zwischen die Kinder auf die Couch schlüpfte. »Ich meine, wir haben uns Sorgen gemacht.«
»
Wir
nicht«, widersprach Astor und schnitt ihrer Mutter eine Grimasse.
»Weil, ich meine, der Mann könnte doch mittlerweile überall sein«, fuhr Rita fort. »Er könnte direkt vor der Tür stehen.« Und obgleich keiner von uns das tatsächlich glaubte – nicht einmal Rita –, fuhren unsere Köpfe zur Tür herum. Zu unserem Glück war er nicht dort, zumindest, soweit wir das beurteilen konnten, während wir versuchten, durch eine verschlossene und verriegelte Tür zu blicken.
»Bitte, Dexter«, sagte Rita, und die Furcht in ihrer Stimme war so stark, dass ich sie riechen konnte. »Bitte, warum … warum passiert das? Ich kann nicht …«
Weitere Kostenlose Bücher