Die schoene Luegnerin
entschlossen, den ekelhaften Mann ganze zwei Stunden und zwanzig Minuten zu erdulden. Schließlich und endlich würde sie morgen abreisen und diese Familie vermutlich nie Wiedersehen, und es ging sie im Grunde überhaupt nichts an, was in Joshs Haus geschah. Wenn Josh die Beleidigungen dieses Mannes schweigend über sich ergehen lassen wollte, dann war es seine Sache.
Und Hiram erniedrigte die Familie nach Kräften. Er mokierte sich über die mangelnde Erziehung der Kinder und erklärte nach einem kurzen Blick auf Tems kleine Hände, daß er niemals zu einer anständigen Arbeit taugen würde. Als er selbst in Tems Alter gewesen sei, behauptete er, hätte er eine große Farm ganz allein verwaltet. Er schalt den Jungen wegen seines Ausflugs auf den Berg aus und machte ihm klar, daß er große Schande über die Familie Greene gebracht und ihren guten Namen besudelt hätte. Danach entrüstete er sich über die kleine Dallas, die seiner Meinung nach ein ungebildetes Gör war.
Nachdem er die Kinder genügend kritisiert hatte, machte er sich über Joshs Felder lustig und verkündete mit einem gewissen Stolz, daß er immer schon überzeugt gewesen sei, daß Josh zu nichts fähig und immer — besonders als Farmer — zum Scheitern verurteilt sei.
Erst als Hiram auf Joshs Vergangenheit zu sprechen kam, spitzte Carrie wieder die Ohren. Sie schloß aus Hirams rätselhaften Schimpftiraden, daß Josh etwas Gräßliches getan und dabei all sein Geld verloren hatte. Hiram sprach davon, daß Josh >auf der Flucht< gewesen sei, und Carrie warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu, aber Josh starrte schweigend auf seinen Teller.
Was kann Josh Schlimmes angestellt haben? überlegte sie. Alles, was Hiram gesagt hatte, deutete darauf hin, daß Josh einmal wohlhabend gewesen war, aber jeden Cent verloren hatte.
Wer hatte ihm alles genommen? fragte sich Carrie. Die Behörden? Hatte sich Josh sein Vermögen auf schändliche Art und Weise angeeignet und war dabei ertappt worden?
Als Hiram zu Josh nichts mehr einfiel, widmete er seine ganze Bosheit seiner armen Frau. Er erzählte lautstark, was Alice in dieser Woche alles falsch gemacht hatte. Er berichtete von Flecken auf seiner Kleidung, die sie nicht hatte entfernen können, weil sie so ungeschickt sei, und von ungenießbarem Essen, das sie zu lange oder zu kurz auf dem Herd hatte stehen lassen. Er erwähnte sogar die Spinnweben, die angeblich bei ihm zu Hause von der Decke hingen.
Carrie schielte auf ihre Uhr, die sie an ihrem Ausschnitt festgesteckt hatte. Eine Stunde war vergangen, und sie fand es beinahe bewundernswert, daß sich eine einzelne Person so lange damit beschäftigen konnte, andere niederzumachen und zu verletzen.
Endlich machte Hiram eine Pause. Obwohl er ohne Punkt und Komma geredet hatte, hatte er enorme Mengen von den Speisen, die auf dem Tisch standen, verschlungen. Er betrachtete Carrie eingehend.
Carrie war sich bewußt, daß sich alle anderen anwesenden Personen still verhielten und ohne sich zu wehren das Gift, das Hiram verspritzte, schluckten. Aber sie senkte nicht den Blick, als Hiram ihr seine Aufmerksamkeit widmete. Geld, dachte sie. Sein Geld verleiht ihm diese Macht. Er besaß eine Farm, und auch das Land, das Josh bestellte, gehörte ihm. Er konnte seinen Bruder und die Kinder fortjagen und ihnen das Dach über dem Kopf nehmen, und deshalb meinte er, das Recht zu haben, sie zu schikanieren.
Aber Carrie wußte über Geld Bescheid. Unzählige Male hatte sie schon die Erfahrung gemacht, welche Macht einem ein Vermögen verlieh, aber in ihrer Familie wurde nie über Geld gesprochen. Dem Himmel sei Dank dafür, dachte sie, daß in meiner Familie niemand so niederträchtig ist, sich besondere Privilegien zu erkaufen. Geld zu besitzen war noch lange kein Freibrief, zu schalten und zu walten, wie man wollte.
Hiram hatte seine Begutachtung noch nicht beendet und sah Carrie immer noch mit einem kalten Blick an, dann wandte er sich mit einem gemeinen Lächeln an Josh. »Ich kann verstehen, daß du auf sie reingefallen bist«, sagte er mit ekelhaft lüsterner Stimme.
Hiram taxierte Carrie noch einmal, um zu ergründen, was sie ihm erwidern würde.
Als Carrie ihm ein honigsüßes Lächeln schenkte, grinste er selbstzufrieden.
Diese widerwärtige Grimasse brachte das zustande, was seine Worte nicht vermocht hatten. Carrie verlor die Geduld. Sie konnte mit seinen Beleidigungen fertig werden, aber dieses Grinsen war zuviel — offensichtlich war er der Meinung,
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