Die schöne Mätresse
für ein Gesichtsausdruck! Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Brents Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
„Keineswegs. Danke, dass du mich an die Sache erinnert hast. Ich war offenbar ein wenig zerstreut. Ich werde wohl noch diese Woche aufbrechen müssen.“
„Das ist mir neu! Der stets korrekte Evan vergisst etwas?“ Er schien sich königlich zu amüsieren. „Die andere Dame beschäftigt dich demnach immer noch?“
Evan wandte den Blick ab.
„Dort hast du dich also in den letzten zwei Monaten versteckt“, sagte Brent mehr zu sich selbst. „Allerdings, das macht die Dinge etwas kompliziert“, fügte er besorgt hinzu.
„Unsinn“, erwiderte Evan in einem schärferen Tonfall, als er beabsichtigt hatte. „Es gibt keine Verbindung. Mama wird Andrea und Clare während deren Debüt unter ihre Fittiche nehmen. Meine Aufgabe besteht lediglich darin, sie auf einige langweilige Veranstaltungen zu begleiten.“
„Natürlich“, stimmte ihm Brent etwas zu heftig zu. „Man sollte sich austoben, bevor man unter die Haube kommt. Außerdem kennt dich Andrea von Kindesbeinen an. Im Gegensatz zu all diesen törichten jungen Dingern träumt sie nicht von einem edlen Ritter mit weißem Pferd. Zweifellos wird sie einen anderen Burschen finden, der sie heiratet.“
Evan wusste darauf nichts zu erwidern. Plötzlich erschien ihm die Aussicht auf ein Mittagessen, bei dem Brent ständig über unangenehme Themen redete, wenig verlockend. „Leider habe ich heute nicht genug Zeit für einen Lunch. Es war schön, dich zu sehen, Brent.“
Als er sich zum Gehen wandte, hielt der Freund ihn zurück. „Entschuldige, Ev. Ich wollte mich nicht in deine Angelegenheiten mischen.“
Evan schüttelte den Kopf. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es tut mir Leid, aber ich muss wirklich gehen.“
„Werden wir uns später zum Dinner treffen?“ Bei Evans erneutem Kopfschütteln zog Brent langsam seine Hand zurück. „Gut, dann hoffentlich auf bald. Ich habe deine Gesellschaft vermisst.“
„Auf bald“, versprach ihm Evan, der seinen Aufbruch kaum abwarten konnte.
Brent musterte ihn eindringlich. Er wirkte ehrlich besorgt. „Pass auf dich auf, alter Freund.“
Evan lächelte ihn zum Abschied schwach an. Auf dem Weg zur Tür spürte er, wie ihn Brents Blick verfolgte.
Evan beugte sich über das Hauptbuch und versuchte vergeblich, sich auf die langen Zahlenreihen zu konzentrieren. Vor seinem geistigen Auge tanzte jedoch ein ganzes Kaleidoskop von Bildern und lenkte ihn immer wieder ab: Andrea am letzten Michaelistag in Wimberley, die ihm sagte, wie sehr sie während Richards Abwesenheit auf seinen Rat vertraute. Brent, der ihn bei White’s schockiert anschaute. Das gut aussehende Gesicht eines Soldaten in roter Uniform.
Er presste die Lippen zusammen. Emily hatte ihren verstorbenen Ehemann offensichtlich angebetet. Und was empfand sie für ihn, Evan? Schnell verdrängte er die Frage.
Er musste sein Versprechen gegenüber Richard einhalten und Andrea für die Saison in die Stadt bringen, die sie ansonsten mied. Dieses Jahr würde sie keine vernünftigen Ausreden mehr finden; seine Schwester und seine Freunde würden ihr Gesellschaft leisten, seine Mutter sie unterstützen, und er selbst würde ihr seinen Schutz anbieten.
Obwohl er natürlich zu seinem Wort stehen musste, hatte er nicht die Absicht, Emily zu vernachlässigen. Er würde eben sowohl sie als auch seine Familienpflichten in seinem Terminplan unterbringen müssen. Und er wollte das unglaubliche Geschenk von Emilys Gesellschaft und körperlicher Zuwendung genießen, solange ihre Affäre andauerte.
Was das Ende der Saison betraf, so konnte in einigen Monaten viel geschehen. Seine brennende Leidenschaft für Emily Spenser würde vielleicht allmählich schwinden. Oder, wie Brent vorausgesagt hatte, ein Gentleman mochte über Andreas Gebrechen hinwegsehen und die entzückende, sanftmütige Dame dahinter entdecken. Irgendein anderer Gentleman.
Und wenn nicht?
Du kannst immer noch mich heiraten, Andrea.
Bei diesem Gedanken krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen, und er hatte eine ungute Vorahnung.
Entschlossen richtete er sich auf. Nein, er hatte keine andere Wahl: Er musste sich um Andrea kümmern, und er musste Emily treffen. Da er an der Zukunft ohnehin nichts ändern konnte, wollte er wenigstens die Gegenwart genießen. Zweifellos würde sich alles zum Besten wenden.
Doch zuerst musste er Andrea abholen, und zwar schon bald. Wie sollte er Emily
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