Die schöne Mätresse
er sah Captain Winstead neben seiner Schwester stehen. Während der ganzen Zeremonie betrachtete er Andrea mit ernster Miene.
Als sie nach der Beerdigung das Stadthaus betraten, stürzte Andrea auf der Treppe. Evan eilte zu ihr, um ihr aufzuhelfen. In diesem Moment schien sie endlich die ganze Bedeutung ihres Verlustes wahrzunehmen. Sie begann in seinen Armen zu weinen, und nichts vermochte sie zu trösten. Schluchzend klammerte sie sich an ihn, während er sie in ihr Schlafzimmer trug und umfangen hielt, bis sie sich etwas beruhigt hatte.
Schließlich sank Andrea wie betäubt auf die Kissen zurück, und seine Mutter schickte ihn hinaus, um etwas zu essen. Unterdessen entkleidete sie Andrea mit Hilfe ihrer Zofe und sorgte dafür, dass sie schlief.
Obwohl die Speisen seltsam fad schmeckten, genoss er das wärmende Brennen des Portweins in seiner Kehle. Schmerzhaft erinnerte er sich daran, dass Richard die Flasche bei seinem letzten Heimaturlaub mitgebracht hatte. Plötzlich verspürte er ein verzweifeltes Bedürfnis, bei Emily zu sein. Ihre Nähe, ihre Leidenschaft würden wie Balsam für die klaffende Wunde sein, die Richards Tod hinterlassen hatte. Obwohl er dringend Schlaf und eine Rasur benötigte, konnte er nicht länger warten.
Er leerte sein Glas und ging zur Tür. Als er gerade seinen Mantel anlegen wollte, erschien Lady Cheverly hinter ihm. „Evan, mein Lieber, ich möchte mit dir sprechen.“
Sosehr er sie auch liebte, das Letzte, was er im Moment wünschte, war eine Plauderei mit seiner Mutter. „Kann das nicht warten? Ich sehe dich doch nachher beim Dinner.“
„Es wird nicht lange dauern, und da du in letzter Zeit so beschäftigt bist“, sagte sie in einem wissenden Unterton, „wäre ich sehr dankbar, wenn du sofort mit mir redest.“
Widerstrebend willigte er ein. „Nun gut. Ich stehe zu deiner Verfügung.“
„Tatsächlich?“ Mit ernster Miene musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. „Das werden wir bald sehen.“
Mit diesen entmutigenden Worten begab sie sich in den Salon. Er folgte ihr und blieb vor einem Sofa stehen.
„Nimm bitte Platz.“ Sie ging zu einem Serviertisch, auf dem ein volles Teetablett stand. „Möchtest du eine Tasse?“
„Nein, danke.“
Sie stellte die Kanne ab. „Nun gut.“ Ihre Röcke raschelten, als sie sich neben ihn setzte. „Ich hatte gehofft, niemals den Tag zu erleben, an dem du zu beschäftigt bist, um mit mir Tee zu trinken.“
„Darum geht es nicht“, protestierte er wütend. „Ich habe gerade gegessen, wie du weißt. Und ich bin tatsächlich beschäftigt. Würdest du mir also bitte verraten, warum du mich sprechen wolltest?“
Sie seufzte. „Das ist wahrscheinlich kein guter Zeitpunkt, aber in letzter Zeit gab es ohnehin wenig schöne Stunden in unserem Leben. Ich komme also ohne Umschweife zur Sache. Beabsichtigst du, dein Versprechen gegenüber Richard einzuhalten, was Andrea betrifft?“
Er traute seinen Ohren kaum. „Wie bitte?“
„Dein Versprechen, sie zu heiraten. Ich war bei deinem Gespräch mit Richard zugegen, wenn du dich erinnerst.“
Das hatte er tatsächlich vergessen. Da er nicht einmal darüber nachgedacht hatte, wie er sein Versprechen mit seiner Zuneigung zu Emily in Einklang bringen konnte, wusste er keine Antwort. Außerdem wollte er diese Frage hier und jetzt nicht erörtern. Langsam wurde er wirklich zornig. „Ich werde etwas arrangieren. Ich habe ihr immer gesagt, wenn sie keinen anderen Mann findet, könnte sie immer noch mich heiraten.“
„Wenn sie London verlässt, ist es unwahrscheinlich, dass sie jemand anderen kennen lernen wird. Du weißt doch, wie sie die Gesellschaft meidet …“
„Ihr wird es an nichts fehlen“, versicherte er schroff. „Ich würde mich auch um sie kümmern, wenn ich Richard nicht mein Wort gegeben hätte. Es tut mir Leid, Mama, aber ich bin sehr müde und habe noch eine dringende Angelegenheit zu erledigen. Würdest du mich jetzt bitte entschuldigen?“
„Einen Moment noch, bitte!“ Sie hob die Hand, als er vom Sofa aufstehen wollte. Nur mit größter Selbstbeherrschung setzte er sich wieder. Am liebsten wäre er einfach aufgesprungen.
„Ich weiß, wie erschöpft du bist – das sind wir alle. Und ich hasse es, ein Thema anzuschneiden, das dir offensichtlich unangenehm ist. Aber es ist von größter Wichtigkeit.“ Sie verstummte, als wolle sie ihre Gedanken sammeln.
Evan wartete ungeduldig.
„Diese ‚dringende Angelegenheit‘, die dich in den letzten Monaten so
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