Die schöne Mätresse
Frau! Selbst für die Tochter eines unbedeutenden Landadligen ist die Situation beschämend.“
Evan war wie vom Donner gerührt. Der Earl of Maxwell … Ein enterbter Bruder in der Armee … Eine verwitwete Geschäftsfrau … Alles passte – zu perfekt für einen Zufall. Es musste stimmen. Nur allmählich drangen die weiteren Details in sein benebeltes Hirn. Die lang verschollene Tochter des Duke of Suffolk.
Trotz seiner Verwirrung versuchte er sich an jede Einzelheit zu erinnern, die ihm Emily jemals über ihren Vater verraten hatte. Dass er reich und mächtig war, dass er ihre Heirat mit einem jüngeren Sohn abgelehnt hatte. Und dass er absoluten Gehorsam verlangt und keinen Widerspruch geduldet hatte.
Evan hatte stets geglaubt, der Mann sei irgendein wohlhabender Industrieller, der seine Tochter mit einem ähnlich reichen Bürgerlichen oder einem Adligen hatte verheiraten wollen, dessen Familie die Verbindung billigte. Dennoch passte alles, was sie ihm über ihre Herkunft erzählt hatte, genau in das Bild der weggelaufenen Tochter eines Duke.
Ihre instinktive Anmut und die natürliche Autorität, die sie umgab, all das wirkte zu selbstverständlich, als dass sie eine solche Haltung in einem Pensionat hätte lernen können. Ihre Unabhängigkeit, ihre strikte Weigerung, sich irgendjemandem zu unterwerfen. Sogar ihr richtiger Name – Auriana Emilie. Welche englischen Bürgerlichen zählten schon französische Adlige zu ihren Verwandten?
All diese Mosaikteile hatten die ganze Zeit über vor seinen Augen gelegen und nur darauf gewartet, zusammengefügt zu werden. Was für ein Narr er doch gewesen war, zu verblendet von seiner eigenen Stellung und seinen Vorurteilen, um die Wahrheit zu erkennen. Anmaßend hatte er über ihre Herkunft geurteilt und rundheraus die Möglichkeit abgelehnt, sie zu heiraten. Dabei stand sie als Tochter eines Duke von Geburt an weit über ihm.
Wie aus der Ferne hörte er die Konversation der beiden anderen Männer.
„Mir ist schleierhaft, wie er mit diesem Märchen durchkommen will“, verkündete Braxton, „aber jeder, der eine Einladung ergattern kann, wird dort sein, um diese Betrügerin kennen zu lernen. Ich kann es kaum erwarten, mitzuerleben, wie Sally Jersey und die Countess Lieven das Mädchen offen schneiden.“
„Ja“, stimmte ihm Wilton zu. „Es wird die beste Abendunterhaltung sein, seit der alte Earl Simpson versuchte, seine junge Opernsängerin zu Lady Wetherbys Ball mitzubringen. Du wirst doch sicher auch kommen, Cheverly?“
Evan fehlten immer noch die Worte. Er nickte nur stumm.
„Komm schon, Brax, da wird gerade ein Tisch frei. Du auch, wenn du willst, Cheverly. Nein? Nun, dann vielleicht später.“
Wilton, der die Flasche in einer Hand hielt und mit der anderen Braxtons Ellbogen ergriff, führte seinen Freund weg. „Was stimmt denn nicht mit Cheverly?“ hörte Evan ihn fragen, als die beiden sich entfernten. „Er wirkt heute Abend völlig durcheinander, findest du nicht auch? Ist er vielleicht krank?“
Evan blickte immer noch auf seine zitternden Hände, als die Wut von ihm Besitz ergriff.
Während all dieser Wochen hatten sie ihre Gedanken, Träume und jede körperliche Intimität geteilt. Er hatte schlaflose Nächte damit verbracht, über die Entscheidung nachzugrübeln, sich von ihr zu trennen. Wie sich nun herausstellte, wäre dies nicht einmal notwendig gewesen, hätte er nur ihre Identität gekannt. Er hätte Andrea keinen Antrag zu machen brauchen. Sicher hätte ihm seine Mutter geholfen, einen passenden Mann für sie zu finden, sodass er sein Versprechen gegenüber Richard auf diese Weise einlösen konnte. Alles, alles hätte er versucht, bevor er sich zu dieser Verlobung durchgerungen hätte, die eine Verbindung mit Emily für immer unmöglich machte.
Warum hatte sie es ihm nicht erzählt?
Wie es schien, war sie wieder in der Familie ihres Mannes aufgenommen worden. Dort würde man sie unterstützen, und schließlich würde sie auch von der Gesellschaft akzeptiert werden. Gewiss, ihre Vergangenheit als Geschäftsfrau würde stets einen Makel bedeuten. Doch nur die größten Narren würden es wagen, auf Dauer die Tochter eines Duke zu schneiden.
Sie würde in den Kreisen verkehren, in denen auch er sich bewegte. Es war gut möglich, dass er sie bei zahlreichen Dinners oder Bällen traf.
Und natürlich würde die Familie des Earl of Maxwell, Emily eingeschlossen, eine Einladung zu Evans Hochzeit erhalten.
Kurze Zeit später fand er sich
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