Die schöne Mätresse
er sich zu White’s begeben.
Glücklicherweise war keiner seiner guten Bekannten anwesend, und Evan konnte allein zu Abend essen. Danach ging er ins Spielzimmer hinüber, um möglicherweise ein paar Gerüchte aufzuschnappen. Mit einem Kartenspiel ausgerüstet, betrat er den Salon.
Bald darauf kam eine Gruppe junger Dandys herein, die lautstark lachten und scherzten. Einer der Neuankömmlinge, den Evan aus Oxford kannte, entdeckte ihn und eilte auf ihn zu.
„Guten Abend, Cheverly. Ich habe dich ja seit Ewigkeiten nicht gesehen!“
Nach dem obligatorischen Händeschütteln erwiderte Evan: „Familiengeschäfte, Braxton. Eine äußerst langweilige Beschäftigung, fürchte ich.“
„Wer kennt das nicht? Weißt du, ich und die Jungs …“, er wies grinsend auf seine lärmenden Kumpane, die sich um mehrere Spieltische geschart hatten, „… finden immer irgendeine Möglichkeit, uns zu amüsieren. Aber was muss ich von dir hören? Unlängst las ich in der ‚Times‘, dass du bald dein Junggesellendasein aufgibst?“ Auf Evans Nicken hin fuhr er fort: „Gratuliere. Meine Schwester gibt dieses Jahr ihr Debüt. Du musst deine Verlobte unbedingt zu ihrem Ball mitbringen.“
„Der Ball deiner Schwester ist nicht das größte Ereignis“, bemerkte einer von Braxtons Freunden, der sich mit einer Flasche in der Hand zu ihnen gesellte. „Jedermann kann es kaum erwarten, die ‚kleine Überraschung‘ des Earl of Maxwell zu sehen.“
Braxton hob sein Glas, um sich nachschenken zu lassen. „In der Tat! Nun, das ist eine ungewöhnliche Geschichte! Sie ist seine Mätresse, könnte ich wetten – was ich auch getan habe. Willst du dich nicht auch setzen, Cheverly?“
Evan hörte kaum zu. Sein Blick suchte den Raum nach einer interessanteren Gesellschaft ab. „Wetten?“ fragte er abwesend.
„Aye. Hast du etwa noch nicht davon gehört? Wie es scheint, sind sowohl der alte Earl of Maxwell – übrigens ein übler Bursche – als auch sein unangenehmer Sohn Alastair am Fieber gestorben. Der Titel ging an den jüngeren Sohn Robert. Vor ein paar Jahren trat er in die Armee ein, was seinem alten Herrn so wenig gefiel, dass er ihn daraufhin enterbte. Jedenfalls war er beinahe mittellos, bis ihm kürzlich Maxwells Titel zufiel …“
„Aber du lässt doch den besten Teil aus, Brax“, unterbrach ihn sein Freund. „Maxwell behauptet nicht nur, den prächtigsten Ball der Saison zu geben …“
„Hör schon auf, Wilton. So weit war ich noch gar nicht.“ Braxton hob die Hand und brachte den anderen zum Schweigen. „Erstaunlich ist jedoch, dass der Bursche auch noch eine Frau vorstellen will, die Witwe seines jüngeren Bruders, wie er behauptet. Und sie ist keinesfalls eine alte Schachtel in einem Trauerkleid, im Gegenteil! Es heißt, das Mädchen soll so schön sein, dass sämtliche Diamanten der Damen neben ihr glanzlos wirken. Das Erstaunlichste ist aber, was sie bis vor wenigen Wochen noch war. Du wirst es niemals glauben …“
„Eine Geschäftsfrau!“ rief Wilton triumphierend dazwischen.
Evan hatte nur halb zugehört, wurde jedoch jäh aus seiner Lethargie gerissen. „Wie bitte?“
„Unglaublich, wie ich bereits sagte! Trotzdem ist es wahr“, antwortete Braxton. „Nun, meine eigene Mutter hat ihre Hüte im Laden dieser Dame gekauft. ‚Madame Emilie‘ nannte sie sich damals.“
„Hat man jemals so etwas gehört!“ rief Wilton aus. „Mein Vater meint, dass sogar der alte Maxwell, so unangenehm er auch war, niemals eine solche Unverschämtheit besessen hätte.“
Evans Herz setzte einen Schlag aus, und ihm war schwindlig. Hatte er richtig gehört? „Wer ist diese Dame?“
„Eine Ladenbesitzerin, ausgerechnet! Natürlich beteuert Maxwell, sie sei in Wirklichkeit gar keine Geschäftsfrau, sondern die lang verschollene Tochter eines Duke! Die Tochter des Duke of Suffolk, behauptet er.“
„Klingt wie ein Märchen, oder?“ spottete Wilton. „Mama kannte den alten Duke, und sie erzählte mir, seine Tochter sei schon vor Jahren gestorben. Natürlich ist der alte Duke bereits tot, und ein entfernter Cousin hat seinen Platz eingenommen. Da er nicht mit der Familie aufwuchs, kann er sich auch nicht für das Mädchen verbürgen. Das kommt ihr gerade recht, wie ich annehme.“
„Ich gehe immer noch jede Wette ein, dass sie Maxwells Mätresse ist“, beharrte Braxton. „Sie muss eine echte Wildkatze im Bett sein, wenn sie ihn so fesselt, dass er sich einen derartigen Scherz mit uns erlaubt. Und seine arme
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