Die schöne Mätresse
Almack’s werden sie schneiden? Lady Barbaras Tochter sagte mir, die meisten Gäste kämen nur, um mitzuerleben, ob Lord Maxwells Einfluss ausreicht, um ihre Anerkennung zu gewinnen, oder ob sie öffentlich gedemütigt wird.“
Gedemütigt? Konnte so etwas geschehen? Aufgeschreckt bemerkte Evan nicht, dass die Kutsche bereits angehalten hatte und ein Lakai die Tür öffnete. Da für ihn keinerlei Zweifel an der Wahrheit von Emilys Geschichte bestand, hatte er überhaupt nicht die Möglichkeit erwogen, dass sie zurückgewiesen wurde. Seine Beschützerinstinkte waren geweckt.
Sie reihten sich in die lange Schlange ein, die auf den Stufen vor dem Ballsaal auf Einlass wartete. Hier im helleren Licht der Kerzen bemühte sich Evan, sein Gesicht abgewendet zu halten, um seine Gefühle vor den scharfen Augen seiner Mutter zu verbergen. Gleichzeitig war er dankbar für das lautstarke Stimmengewirr, das ihm im Augenblick eine Konversation ersparte.
Sie hatten die Treppe halb hinter sich gebracht und näherten sich den Gastgebern. Wie würde Emily aussehen? Kühl und gefasst wie immer, obwohl ihr der gesellschaftliche Ruin drohte?
Gegen seinen Willen musste er lächeln. Seine mutige Emily hatte Josh Hardings Erpressung widerstanden und in einem fremden Land überlebt. Nun würde sie sich wohl kaum verkriechen, nur weil sie dem Urteil einiger eitler Aristokraten ausgesetzt war.
Er bemerkte das Bild, bevor er sie sah. Über dem Treppenabsatz hing ein großes Ölgemälde, das zwei Männer in Uniform zeigte. Sofort erkannte er in dem schwarzhaarigen, grünäugigen Mann zur Linken ihren verstorbenen Ehemann. Der Soldat neben ihm, mit hellerem Haar, aber unverkennbar ähnlichen Gesichtszügen, musste sein Bruder sein, der neue Lord Maxwell. Für ein Porträt war der Stil recht unkonventionell, da die Figuren nicht heldenhaft vor einem historischen Hintergrund standen, sondern sich ungezwungen an das Geländer einer Veranda lehnten. Die Kragen ihrer Uniformen standen offen, und ihr Haar wurde vor dem leuchtend blauen Himmel von einer leichten Brise zerzaust.
Es war unverkennbar Emilys Stil – die gleichen klaren Farben, scharfen Kontraste und die lässige Haltung, die sie auch bei der Miniatur ihres Mannes bevorzugt hatte. Ebenso wie auf dem Gemälde, das in seiner Bibliothek hing.
Die Gäste hinter ihm murmelten missmutig. Plötzlich wurde er sich bewusst, dass die Reihe weiter vorgerückt war, während er fasziniert das Bild betrachtet hatte.
Zu seinem Erstaunen stand seine Mutter ebenfalls wie gebannt da.
Lady Cheverlys Blick war ebenfalls auf das große Bild gerichtet. Eine wachsende Bestürzung spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider. Bevor er sich abwenden konnte, drehte sie sich zu ihm um. „Gott vergib mir“, flüsterte sie.
Er konzentrierte sich darauf, Andrea die nächsten Stufen hinaufzuhelfen. Schließlich konnte er es nicht länger vermeiden, zum Eingang zu sehen.
Eine Reihe von Personen begrüßte die eintreffenden Gäste, angeführt von dem braunhaarigen Mann auf dem Gemälde. Neben ihm stand eine hübsche blonde Dame und eine weitere, die ihm das Profil zuwandte – Emily.
Sie trug ein glitzerndes silberfarbenes Kleid, wie ein Stern um Mitternacht. Sein Blick wanderte von dem wundervollen Kleid zu ihrem schlanken Hals, ihren blassen Wangen … Evan erstarrte.
Emily hatte gänzlich auf Juwelen verzichtet. Der einzige Schmuck, den sie trug, war ein diamantenbesetzter Kamm mit einer Mantilla in ihrem dunklen Haar. Es war das Geschenk, das er ihr in den ersten gemeinsamen Wochen gekauft hatte.
Er wusste nicht, wie er die restlichen Stufen erklommen hatte, erinnerte sich nicht einmal an die Worte, die er zur Begrüßung seines Gastgebers und dessen Frau geäußert hatte. Dann blieb er vor ihr stehen.
„Miss Marlowe, Lady Cheverly“, sagte sie, während sie seiner Mutter die Hand entgegenstreckte. „Welche Freude, Sie zu sehen.“
„Ich freue mich ebenfalls zu sehen, dass es Ihnen so gut ergangen ist, meine Liebe. Und was für einen wunderschönen Kamm Sie tragen! Er stammt aus Spanien, oder? Ein Geschenk Ihres verstorbenen Gatten?“
„Nein.“ Zum ersten Mal schaute sie Evan offen an. Wie stets in ihrer Nähe spürte er die enge gedankliche Verbindung, die Erregung, die von seinem Körper Besitz ergriff. Sie hielt ihre wundervollen violetten Augen auf ihn gerichtet, während sie leise erwiderte: „Es war ein Geschenk meines liebsten Freundes.“
Lag dasselbe verzweifelte Verlangen in ihrem Blick,
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