Die schöne Mätresse
Dreiviertelstunde schlug, ging sie zu ihrem Schrank und zog schnell ihr Reitkostüm an.
Evan würde bereits weg sein, wenn sie den Park erreichte, dessen war sie sich bewusst. Doch es sollte ihr nur recht sein, da sie es ohnehin nicht ertragen konnte, ihm zu begegnen. Ebenso wenig konnte sie es sich jedoch vorstellen, ruhig im Frühstückszimmer zu sitzen und unbefangen mit Natalie zu plaudern.
Nach einer Weile lenkte sie ihre Stute durch den Eingang zum Park. Hier, wo Evan vor einer Stunde geritten und umhergegangen war, fand sie vielleicht etwas Trost. Nur hier hatte sie die Einsamkeit, die sie brauchte, um ihre Liebe zu betrauern. Eine Liebe, die sie gerade erst entdeckt hatte und nun ihr restliches Leben lang verleugnen musste.
Emily ritt zu einer abgelegenen Bank nahe dem Weg, auf dem sie gestern spaziert waren. Dort ließ sie sich nieder und hob ihr Gesicht dem schwachen Sonnenlicht entgegen. Mit geschlossenen Augen konnte sie immer noch seine starken Hände spüren, die sie aus dem Sattel hoben, seine Lippen, die ihre liebkosten.
Wie lange würde die Erinnerung an ihn noch so lebendig bleiben? Würde es ihr Schmerz oder Erleichterung bringen, wenn sie ihn endlich vergaß?
Vielleicht würde es ihr etwas Trost spenden, wenn sie sich die glücklichen Tage mit Andrew ins Gedächtnis rief. Sie wagte es nicht, an ihr verlorenes Glück mit Evan zu denken, geschweige denn an die wenigen Wochen, die sie zusammen verbracht hatten. Nun bereute sie, ihm ihre Zuneigung verschwiegen zu haben. Nie hatte sie ihm ihre wahren Gefühle zeigen können, hatte nicht die Freude in seinen Augen gesehen, wenn sie ihm ihre Liebe gestand.
Aber vielleicht war ihre Zurückhaltung nur zum Besten gewesen. Denn nun musste alles enden.
Ehe sie es verhindern konnte, quollen heiße Tränen unter ihren geschlossenen Lidern hervor und rannen langsam über ihre Wangen.
Sekunden später zuckte sie plötzlich zusammen. Auch ohne die Augen zu öffnen, spürte sie, dass Evan sie beobachtete.
17. KAPITEL
E mily blickte auf. Durch ihren Tränenschleier sah sie Evan, der in einiger Entfernung vor ihr stand.
Aus Furcht, er würde ihre Anwesenheit falsch interpretieren, flüsterte sie: „Ich kann es nicht tun.“
Er lächelte schwach. „Ich weiß, Liebling.“
„Dann … Warum bist du immer noch hier?“
Er zuckte die Schultern. „Es ist der letzte Ort, an dem wir zusammen waren. Ich konnte ihn einfach nicht verlassen. Warum bist du gekommen?“
Unter Tränen lächelte sie ihn an. „Es ist der letzte Ort, an dem wir zusammen waren.“
„Wir sind tatsächlich ein Paar, oder? Aber ich bin froh, dass du hier bist. Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Die Ehre würde ein Verhältnis nicht zulassen, wie ich es dir vorgeschlagen habe. Ich könnte es zudem nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Wahrscheinlich habe ich nur gefragt, weil ich so sicher war, du würdest ablehnen. Trotzdem hätte ich es nicht tun dürfen, und es tut mir Leid. Du hattest Recht.“
„Ich hatte Recht? Was meinst du damit?“
„Beinahe alles, was du sagtest. Zum Beispiel, dass ich bisher immer zu leicht meinen Willen bekommen habe. Oder dass ich in meiner Arroganz annahm, Menschen, Handlungen und Prinzipien einfach nach meinem Belieben kontrollieren oder ändern zu können. Ich hätte mir niemals träumen lassen, wie schmerzhaft es ist, etwas aufzugeben, das ich mehr als alles andere im Leben begehre.“ Er lachte kurz. „Du warst mit einem Helden verheiratet, der stets seine Pflicht erfüllt und jedes Opfer auf sich genommen hat, selbst als es ihn sein Leben kostete. Kein Wunder, dass du mich nie wirklich geliebt hast.“
„Das ist nicht wahr, Evan“, widersprach sie leise. Es würde ihn zwar wenig trösten, aber wenigstens einmal musste sie es ihm gestehen. „Ich habe dich ge… ich liebe dich.“
Er hatte wehmütig auf den Horizont geschaut, doch nun wandte er sich ihr verblüfft zu. „Was … was hast du gesagt?“
„Evan, du verzichtest auf dein eigenes Glück, um dein Versprechen zu halten und deine Pflicht zu erfüllen. So etwas erfordert ebenso viel Mut wie das Wagnis, im Krieg seinen Feinden gegenüberzutreten. Vielleicht sogar mehr, weil niemand jemals von deinem Opfer erfahren wird. Du wirst also keinen Orden dafür erhalten. Nur wir beide wissen davon. Deshalb will … muss ich dir sagen, dass ich niemals die Zeit bereuen werde, die wir miteinander verbracht haben – ich denke sogar ständig daran zurück. Ich trauere um das, was nicht
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