Die schoene Muenchnerin
musste vorher zur Agentur Carta Dura . Das konnte er nicht verschieben. »Ich muss noch schnell zu einem dringenden Arzttermin«, hatte er zu Mader gesagt. »Dauert nur ein Stündchen, dann kümmer ich mich um die Zeugenaussage.« Und war losgehastet zur U-Bahn.
Rotkreuzplatz. Gründerzeithaus. Vierter Stock. Eine riesige Altbauwohnung. Sehr repräsentativ. Auf dem langen Gang zum Büro der Agenturchefin durchschritt er ein Defilee von Assistentinnen, sechs an der Zahl, die mit Headsets vor Computerbildschirmen zwitscherten wie die Vögelchen auf der Stange. Seine Reise endete in dem mit Bücherregalen zugewachsenen Büro von Dr. Gerlinde von Kaltern, einer fünfschrötigen Frau von großer Distinguiertheit und mit gefährlich scharfer Habichtnase, die den Marktwert ihrer Autoren beziehungsweise die Belastbarkeit der Portemonnaies ihrer Verlagskunden genauestens erschnüffeln konnte. Die Dame mochte wohl erst Mitte vierzig sein, hatte aber eine vom ausdauernden Zigarettenkonsum eindrucksvoll gegerbte Reibeisenstimme. Süßholzraspeln war ihre Tonart jedenfalls nicht. Trotz Kaffee und Keksen. Sie ging gleich in die Vollen: »Ich will ganz ehrlich mit Ihnen sein, Herr Hummel, ein großes Talent sind Sie nicht. Aber Sie haben einen interessanten Job. Ein romantischer Bulle mit Humor. Ihr Text hat mich wirklich zum Lachen gebracht.«
Hummel bebte innerlich. Wofür hielt sich die Tante?! In seinem Text war nichts Lustiges. Wahrlich nicht! Aber er hielt den Mund, er wollte es nicht vermasseln. Vielleicht brauchte er gerade jemanden, der oder die ihn mal ein bisschen härter anfasste, ihm die rosige Wange ans raue Sandpapier der Wirklichkeit hielt. Er nickte stumm.
»Ich werde Sie vertreten«, sagte Gerlinde von Kaltern, »auch wenn ich mir noch genau überlegen muss, wie ich Sie marktgerecht anbiete.«
»Was, äh, meinen Sie damit?«
»Nun ja, wir werden sehen, wohin der Trend Sie weht. Meine Spezialität sind early follower .«
Hummel sah sie groß an. Gerlinde von Kaltern lächelte scharf. »Wir sehen, womit andere auf dem Buchmarkt Erfolg haben, und machen es besser.«
Hummel schluckte. Sie schenkte von dem sehr starken Kaffee nach und schob ihm die Schale mit den Keksen hin. »Greifen Sie zu. Wunderbares Gebäck. Und ich hab die Kekse nicht nach meinem oder Omas Geheimrezept gebacken. Ich habe sie in einem Laden hier um die Ecke gekauft. Verstehen Sie, was ich meine?«
Hummel verstand es nicht, nickte aber – bereit, weitere Demütigungen einzustecken.
Sie lächelte. »Den einsamen Dichter in seiner Dachstube, den gibt es nicht. Nicht mehr. Genauso wenig wie Omas Vanillekipferl. Und wenn, dann interessiert sich niemand mehr dafür. Die Masse macht’s. Um zu wissen, was die Leute wollen, dafür brauchen Sie mich. Und Sie schreiben dann, was die Verlage verkaufen können. Sicher keinen sozialkritischen Krimiquatsch! Herr Hummel, wir haben viele Bestsellerautoren unter Vertrag. Und ich gebe Ihnen eine Chance. Darum geht es. Eine Win-Win-Win-Situation: die Agentur, der Verlag, der Autor. Sie verstehen?«
Hummel nickte wieder betreten. Die Reihenfolge war klar.
Gerlinde von Kaltern stieß auf frivole Art den Rauch aus und zerdrückte den Zigarettenstummel in ihrem tablettgroßen Porzellanaschenbecher. »Lesen Sie unseren Agenturvertrag in Ruhe durch, und geben Sie mir bald Bescheid! Ich freu mich auf unsere Zusammenarbeit. Sie sind ein guter Typ.«
Als Hummel auf der Straße stand, war er ganz benommen. Der Plastikschnellhefter in seiner Hand war schweißnass. Er kam sich vor, als hätte Gesine ihn auf dem OP-Tisch seziert, ihn aufgeschnitten und entdeckt, dass er innen hohl war.
DEN UMSTÄNDEN ENTSPRECHEND
Vorsichtig wickelte Nose den Verband ab. »Na, das ist doch schon was«, sagte er, als er Helmuts vernarbtes Gesicht freigelegt hatte. »Der Schorf fällt irgendwann von selbst ab, bitte nicht kratzen, und dann haben Sie bald ein neues Gesicht.«
Helmut sah sich seine Visage im Spiegel an und war den Umständen entsprechend zufrieden.
Ludwig war sogar richtig glücklich. Der Doc hatte seine Hasenscharte fast gänzlich unsichtbar gemacht. »Sie verstehen echt was von Ihrem Job«, sagte er ehrfurchtsvoll.
AUS DER RESERVE
»Und, was sagt der Arzt?«, fragte Mader mitfühlend, als Hummel ins Büro kam.
»Tödlich. Mittelfristig«, sagte Hummel. »Ich soll mit dem Rauchen aufhören.«
»Tun Sie das. Ich war vorhin bei Günther. Und hab ihm erzählt, dass Dr. No entgegen seiner Aussage am
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