Die schöne Parfümhändlerin
sicher mehr erfahren.“
Signora Mercanti ließ sich auf den gepolsterten Stuhl sinken und nahm von Bianca die dargebotene Süßigkeit entgegen. Es war offensichtlich, dass die Signora sich auf einen langen, gemütlichen Vormittag in Juliettas Parfümerie einstellte. Und immer wenn die Türglocke läutete und neue Kundinnen den Laden betraten, sprach man über nichts anderes als die Landuccis, die bevorstehenden Karnevalsbälle und natürlich von Il leone und seinen Heldentaten.
ll leone. Julietta warf einen letzten Blick zum Fenster, bevor sie sich ins Gefecht stürzte. Sie war erfüllt von einem unbegreiflichen Verlangen, hinter ihm herzurennen. Ihn zu bitten, ihr zur Flucht auf einem seiner großen, schnellen Segler zu verhelfen.
Fliehen. Ja, wenn sie das nur könnte. Wenn Il leone damit so einfach ihre Furcht vertreiben könnte wie diese Piraten. Doch sie wusste genau, dass er dazu nicht in der Lage war. Ihre Dämonen ließen sich nicht vertreiben, auch nicht von dem gefeierten Il leone.
4. KAPITEL
„Habt Ihr sie gesehen?“, fragte Nicolai.
Marcos blieb stehen und schaute kurz zurück. Er sah die blaue Tür, darüber baumelte das Holzschild mit dem Bild einer Parfümflasche. Einen kurzen Moment lang bildete er sich ein, sie, Julietta Bassano, zu sehen – groß, kalt, stolz und zurückhaltend und dennoch, das ahnte er, nicht ganz ohne Leidenschaft. Ein entzückender rosiger Schimmer hatte ihre Wangen überzogen, als er ihr Handgelenk zärtlich gehalten hatte. „Ja, ich habe sie gesehen.“
„Und?“
Marcos zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe nicht, was der alte Ermano an ihr findet“, log er.
Nicolai lachte laut und so herzlich, dass zwei hübsche Mägde stehen blieben und ihm interessierte Blicke zuwarfen. Auch wenn sich daraus vielleicht eine recht aufregende Affäre hätte entwickeln können, jetzt war nicht die Zeit, Aufmerksamkeit zu erregen. Marcos führte seinen Freund in eine fast leere Wirtsstube, wo sie sich bei billigem Bier und einer Fleischpastete in einer dunklen Ecke niederließen.
„Vermutlich will er nur ihren vornehmen Ansitz und ihre fruchtbaren Felder auf dem Festland.“ Träge lehnte sich Nicolai auf dem rohen Holzstuhl zurück. Sein buntes seidenes Harlekinkleid hatte er gegen ein einfaches rotbraunes Wollgewand getauscht, die goldblonden Haare streng zurückgekämmt und am Hinterkopf zusammengebunden. Nur in den ungeduldigen Gesten der schmalen Hände und in seinen blauen Augen zeigte sich nun der stets Aufmerksamkeit heischende Eifer eines geborenen Schauspielers. Marcos fragte sich insgeheim, ob der langjährige Freund seinen Plan auch einhalten würde.
Doch war Nicolai nicht einer der wenigen Freunde, denen Marcos voll und ganz vertrauen konnte? Und der einzige, der ihm bei der Durchführung seiner Vorhaben in Venedig helfen konnte? Als Wanderschauspieler war Nicolai herumgekommen und kannte viele Leute. Ihm war jeder Winkel der Serenissima vertraut, auch die dunklen und schmutzigen. Er konnte dieser Stadt ihre Geheimnisse und Gerüchte auf eine Weise entlocken, wie es Marcos selbst, der bereits mit sechs Venedig verlassen hatte, niemals möglich gewesen wäre.
Bald. Bald sollte diese ernste Stadt unterwürfig vor ihm auf dem Rücken liegen. Alle seine Wünsche, alle seine Forderungen sollte sie ihm erfüllen. Alles, wofür er geplant und gearbeitet hatte, seit er ein Kind war.
Gott mochte dem helfen, der sich ihm in den Weg stellen wollte. Niemand sollte ihn an seinen Plänen hindern, auch nicht die Frau mit nachtschwarzem Haar und weißer Haut, die nach Blüten duftete und nach Traurigkeit.
Marcos nahm einen tiefen Schluck von dem billigen Bier. „Kein Anwesen, kein Landgut sind das Theater wert, das Ermano macht. Besitzt er nicht bereits genug von solchen Gütern?“
„Vielleicht weiß der erlauchte Conte, dass er mit seiner entschlossenen und sehr öffentlichen Jagd auf die Witwe Bassano zum Gespött in Venedigs Gesellschaft wird. Und das macht ihn umso entschlossener“, sagte Nicolai, in dessen Tonfall nur noch ganz selten die Sprache seiner lange verlassenen russischen Heimat herauszuhören war.
„So wird es wohl sein.“ Marcos dachte an Juliettas Augen, dunkel wie die schwärzeste Nacht und doppelt so geheimnisvoll.
Nicolais Blick schweifte prüfend durch die düstere Schankstube, als er einen tiefen Schluck von dem Bier nahm. „Was hast du als Nächstes vor, mein Freund?“
„Na ja, die schöne Signora umwerben“, antwortete Marcos mit einem
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