Die schöne Parfümhändlerin
Locken ihrer ersten Ehejahre fehlten Julietta ganz und gar nicht. Doch heute Nacht – sie konnte sich selbst den Grund nicht erklären – heute Nacht wollte sie ihr Haar offen wie ein junges Mädchen tragen. Wie ein schwarzer Vorhang fiel es ihr bis zur Hüfte. Als einzigen Schmuck hatte sie weiße und goldene Bänder hineingeflochten.
Bianca biss den Faden ab und trat zurück. „Ihr seht aus wie die leibhaftige Sonne, Madonna.“
„Ich hoffe, ich sehe nicht aus wie ein Schaf, das sich als Lamm verkleidet“, murmelte Julietta, die sich plötzlich an ein lange vergessenes, oft gebrauchtes Sprichwort ihres schottischen Kindermädchens erinnerte.
„Madonna?“ Bianca sah ihre Herrin fragend an.
„Das soll heißen, ich hoffe, dass die Leute nicht glauben, ich sei eine alte Witwe, die versucht, ihre verlorene Jugend zurückzuholen.“
„Aber nein! So alt seid Ihr doch noch gar nicht, Madonna. Außerdem werdet Ihr ja sowieso eine Maske tragen.“
„Um meine Hexenfalten zu verbergen!“, scherzte Julietta und langte nach der Maske auf dem Tisch. Es war eine Katzenmaske aus weichem weißen Ziegenleder, das leicht mit Goldstaub überzogen war. Sie hielt sie sich vors Gesicht. In der Tat, die Maske verwandelte. Was sie sah, war nicht mehr Julietta Bassano, die freundliche Ladenbesitzerin und achtbare Witwe. Doch wer war sie?
Das konnte ihr nur die Nacht verraten. Und was würde Signor Velazquez von ihrem veränderten Äußeren halten? Würde er stolz sein, ihre Hand zu halten, sie durch die Menge zu geleiten, zum Tanz zu führen? Oder bedauerte er vielleicht sogar schon, sie aus einer Laune heraus für heute Nacht eingeladen zu haben?
Langsam ließ Julietta die Maske sinken. Im Spiegelbild sah sie ihre braunen Augen, die sie nachdenklich anblickten. Was hatte ihn nur dazu gebracht, sie zu dem Fest einzuladen? Unverständlich. Besonders nachdem sie ihn heute zusammen mit dem Dogen gesehen hatte. Offenbar wurde Velazquez sehr geschätzt. Ganz Venedig suchte seinen Rat und hofierte ihn. Jede Frau wäre stolz, ihn auf das Fest begleiten zu dürfen. Doch er hatte ausgerechnet sie gewählt.
Weshalb?
Argwohn war ihr zur zweiten Natur geworden. Stets musste sie sich fragen, welche verborgenen Motive hinter den Worten und Handlungen ihrer Mitmenschen steckten. Unter jeder ruhigen, geheimnisvollen Oberfläche konnten sich schließlich die wildesten und gefährlichsten Strömungen verbergen – genau wie auch unter den Wassern der Kanäle Venedigs. Nichts war so, wie es schien. Auch Marcos Velazquez war da keine Ausnahme. Sie musste ja nur in die tiefblauen Augen schauen, um das zu wissen. So blau wie der Himmel waren sie, aber auch so veränderlich. Ein klarer Himmel am Morgen konnte durchaus heftige Stürme am Abend bedeuten. Eine kluge Frau, eine Frau, die ihre eigenen Geheimnisse hatte, sollte Stürme der Art, wie sie Männer wie Il leone herbeiführen konnten, meiden. Sie könnten sich als tödlich herausstellen.
Und doch …
Sie konnte dieses seltsame Gefühl nicht vergessen, als er ihre Hand gehalten und ihr tief in die Augen geschaut hatte. Es war ein Sturm einer ganz besonderen Art gewesen – warm und verlockend, aber dennoch nicht minder gefährlich. Nein, es ließ sich nicht leugnen. Dieser völlig neue, unbekannte Gefühlswirbel zog sie mit und ließ sie nicht mehr los.
Sie wollte auch gar nicht losgelassen werden. Jetzt noch nicht. Wahrscheinlich lag es an der Karnevalszeit. In ihr wallte eine Lebenslust hoch, die sie glaubte, lange begraben zu haben. Die Maske und die Robe bewirkten, dass sie für diese Nacht einmal ihr wahres Wesen vergessen konnte.
Sie schlüpfte in ihre Schuhe, ein neues Paar hochhackiger Goldbrokatstiefeletten, die mit weißen Riemen geschlossen wurden, und ging durch die Kammer zum offenen Fenster. Das Gedränge auf dem Platz war riesig, die Menschen waren nicht so vornehm wie auf der Piazza San Marco, aber genauso fröhlich. Sie waren maskiert und kostümiert, tanzten auf dem Kopfsteinpflaster und tranken den Wein, der aus dem Brunnen floss.
Heute Nacht begann die Zeit der unbekümmerten Nächte. Eine Zeit, in der alle Nöte und Sorgen des Lebens vergessen werden konnten, in der nur Freude und Frohsinn regierten. Alle Venezianer gaben sich diesem Rausch hin. Warum nicht auch sie? Lange war sie vorsichtig gewesen. Sie wollte auch einmal wieder lachen, fröhlich und ausgelassen sein, tanzen und Wein trinken, bis ihr schwindelig wurde.
„Nur für diese eine Nacht. Was kann
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