Die schöne Parfümhändlerin
anderes als ein einfacher Reigen. Doch sie folgte Marcos leichtfüßig, bis sie schließlich einen Platz in der Menge fanden.
Die Musik war hier lauter, die Luft heißer und geschwängert mit unzähligen Gerüchen: Der Duft von Rosen, Veilchen, Bergamotte, Orangenblüten und die Ausdünstungen menschlicher Haut trafen auf Juliettas empfindliche Nase. Marcos schlug seinen kurzen Mond- und Sternenumhang nach hinten über die Schultern, legte den Arm um Juliettas Taille und tanzte mit ihr zum Takt der Musik. Ein guter Tänzer war er, stellte sie erstaunt fest. Gewandt, leichtfüßig und dennoch sicher in der Schrittfolge, führte er sie. Weshalb sie darüber so erstaunt war, wusste sie selbst nicht. Bislang hatte er sich doch in allem, was er tat, als äußerst erfahren erwiesen. Im Kampf gegen die Piraten, im Taktieren am Hof des Dogen, beim Schäkern mit Parfümhändlerinnen und deren Dienerinnen – weshalb sollte es beim Tanzen anders sein?
„ La volta!“, rief die Menge. Marcos umfasste ihre Taille fester und hob Julietta hoch in die Luft, am ausgestreckten Arm hielt er sie dort, während er sich drehte. Schneller und schneller ließ er sie so im Kreis fliegen, bis ihr der Kopf schwirrte und die Menge um sie herum verschwamm. Sie hielt sich an Marcos’ Schulter, legte den Kopf in den Nacken und lachte, während Marcos sie unaufhaltsam herumwirbelte, als sei sie leicht wie eine Feder.
Kaum hatte ihr Schuh wieder den Boden berührt, als erneut der Ruf „ La volta!“ ertönte. Und wieder und noch höher diesmal wurde sie in die Lüfte gehoben und gehalten von Marcos’ starkem Arm.
Es war berauschend! Seit ihrer Kindheit glaubte sich Julietta nicht so leicht gefühlt zu haben, so frei, so schwindelerregend glücklich. Nein, nicht einmal als Kind hatte sie sich so gefühlt. Nie zuvor. Und alles nur hervorgerufen durch einen Tanz, ein ungeheures Spektakel von Musik, Licht und Menschen. Unglaublich.
Oder vielleicht doch nicht? Die Musik kam zum Höhepunkt, wurde leiser, und Marcos ließ Julietta wieder auf den Boden. Sie hielt sich an seinen Schultern fest, einen Moment lang spürte sie seinen Körper gegen den ihren gepresst, hart und kräftig. So jung und stark, so warm und lebendig, so vollkommen in ihrer Umarmung. Aber gefährlich, sehr gefährlich.
Julietta sah, dass er sie hinter seiner Maske genau beobachtete. Im Fackellicht leuchteten seine blauen Augen. Eine dunkle Locke hatte sich aus seinem schwarzen Haarband gelöst und lag ihm wie ein schwarzes Fragezeichen auf der Stirn. Julietta spürte, wie ihr Mund plötzlich trocken wurde, und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Ihr seid ein guter Tänzer“, wisperte sie.
„So wie Ihr, meine Sonne“, gab er zurück.
Von allen Seiten drückten und drängten die Leute, als die Musik zu Ende war. Julietta stolperte. Marcos fing sie auf, hielt sie und drückte sie gegen seine mit Samt bedeckte Brust. Ein reines Bukett von Meerwasser stieg Julietta in die Nase, und obwohl sie doch fest auf dem Boden stand, begann sich die Welt sofort wieder zu drehen.
„Möchtet Ihr noch einmal tanzen?“, fragte Marcos, der fast einen Kopf größer als Julietta war. Dabei war sie schon größer als die meisten Venezianerinnen.
„Ich würde lieber einen Wein trinken.“
Er nahm sie bei der Hand und führte sie sicher vorbei an drängelnden Menschen und sich umarmenden Paaren. „Die Moriska!“, rief jemand, und zugleich waren der helle Klang der Schellen und fröhliches Lachen zu hören.
Am Rande der Piazza fanden sie einen Weinbrunnen. Marcos warf einem Diener eine Münze zu, der ihm sofort zwei Kelche mit dem süßen roten Trunk füllte.
Einen der beiden silbernen Kelche reichte Marcos Julietta, mit dem anderen prostete er ihr zu: „ Durmiendo, en fin, fui bien aventurado, y es justo en la mentira ser dichoso quien siempre en la verdad fue desdichado“, zitierte er in melodischem Spanisch.
Julietta nippte an ihrem Wein. Er war mit Zimt gewürzt. „Und was wollt Ihr mir damit sagen?“
„Es ist ein Vers aus einem Gedicht: Im Schlaf fand kurz ich Glückseligkeit. Wahr ist, im Lügen liegt Segen, in der Wahrheit Unglück.“
„In der Wahrheit Unglück“, wiederholte Julietta nachdenklich. „Das stimmt.“
„Es ist aus einem der Sonette von Juan Boscán Almogaver. Er schreibt über den Sinn des Lebens, die Bedeutung von Liebe und Fantasie, Wahrheit und Lüge. All das ist sehr bewegend.“
Also doch nicht nur ein einfacher Seemann.
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