Die schöne Parfümhändlerin
gewinnen würde. Natürlich war sie mit ihrem kleinen Laden ein winziger Fisch im großen Meer der venezianischen Gesellschaft, aber das gefiel ihr gerade. In ihrem früheren Leben war sie ein Mitglied einer einflussreichen Familie gewesen, was ihr oft genug lästig gewesen war. Dennoch erfreute es sie, wenn sie viele vornehme Kunden hatte, die ihr ganz persönliches Parfüm kreiert haben wollten und auch bereit waren, entsprechend viel dafür zu zahlen. Sie wollte, dass diese Leute auch weiterhin in ihr kleines Geschäft kamen und nicht zu den vielen anderen Parfümeuren in der Stadt gingen. Hin und wieder etwas gesellschaftlicher Kontakt, ein wenig Plaudern und Fröhlichkeit und einige wohlplatzierte Komplimente konnten deshalb nicht verkehrt sein. Selbst wenn sie dazu in den Palaz zo Grattiano gehen musste.
Mit einem Seufzer legte Julietta den Brief zur Seite. Zumindest war es ein Essen mit vielen Gästen, und sie würde nicht alleine mit dem Conte sein.
„Und, Madonna?“, fragte Bianca.
„Ja, Bianca. Vermutlich werde ich wohl gehen müssen“, erwiderte Julietta immer noch nachdenklich. „Wohl oder übel. Aber du kannst ruhig ausgehen. Einen Abend kann das Haus sicher auch einmal unbewacht bleiben.“ Sie schob die Decke beiseite und schwang die Beine über die Bettkante. Es war höchste Zeit, den Tag zu beginnen! „Komm, Bianca. Wir müssen den Laden öffnen.“
Der Palazzo Grattiano war vom Dach bis zu den Gondelpfosten prachtvoll erleuchtet. Fackelträger in grün-silberner Livree standen aufgereiht auf der Galerie unter der Dachtraufe und am Kai. Hinter jedem Fenster strahlte ein goldenes Licht als Willkommensgruß für die vielen Gäste, die am Anlegeplatz aus ihren Gondeln stiegen und sich in den Innenhof begaben. Grüne und silberne Wimpel flatterten in der Abendbrise.
Ungeduldig wartete Julietta in ihrer gemieteten Gondel darauf, dass sie an die Reihe kam auszusteigen. Sie zitterte vor Anspannung und in Erwartung dessen, was da kommen sollte. In den Samtschuhen zuckten ihr die Füße, als wollten sie ihr raten, die letzte Gelegenheit zu ergreifen und umzukehren.
Der Palazzo, mit einer Fassade aus schwarzem und rosa Marmor in kunstvollem Kreuzmuster, war der prächtigste und größte entlang der großen Wasserstraße Venedigs. Aus den Nischen in den Fenstergiebeln blickten Amorskulpturen und wunderliche Dämonengebilde auf die Gäste hinunter. Es war ein beeindruckendes Haus, das nicht nur Reichtum und Macht ausstrahlte, sondern auch, dass sein Besitzer nach Anerkennung und Respekt heischte. Die meisten Menschen hätten es als Ehre empfunden, in solch einer Umgebung speisen zu dürfen. Julietta hingegen wollte am liebsten so schnell wie möglich wieder verschwinden, sich dem erdrückenden Prunk entziehen. Sie dachte an das schlichte Fest in der vergangenen Nacht, an die Trommeln, die Seidenkissen, die verräucherte Luft, den Wein und die hemmungslose Lebensfreude. So ein Ort lag in einer völlig anderen Welt, einer Welt, in die sie sich sehnte zurückzukehren, in der sie lachen und tanzen und Marcos Velazquez ungestraft küssen durfte.
Doch es war zu spät. Ihre Gondel stieß gegen den Kai, und ein Diener stand schon bereit, ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Im Innenhof des Palazzo standen nur noch wenige Leute. Die meisten Gäste waren bereits über die breite Steintreppe zu den Gesellschaftsräumen im zweiten Stockwerk gegangen. Auch hier, im Innenhof und auf der Treppe, machten unzählige Fackeln die Nacht zum Tage. Es war ein seltsames orangerotes Licht, das sie über die Treppe nach oben in eine glitzernde künstliche Welt führte.
Hinter dem geöffneten zweiflügeligen Portal wartete ein Diener, der ihr den Umhang abnahm und sie in die Glitzerwelt geleitete. Hohe, silbergerahmte Spiegel bedeckten die Wände vor dem großen Saal. Julietta blieb einen Moment stehen und betrachtete ihr Spiegelbild. Im Vergleich zu den prächtigen Gewändern einiger Damen war ihr rotes Samtgewand, dessen einziger Schmuck ein wenig Goldstickerei am Mieder und am Saum war, eher schlicht. Dazu trug sie wie in der letzten Nacht Ärmel aus Goldbrokat. Nein, nach der neuesten Mode war sie nicht gekleidet, aber sie fand, dass sie in dem dunklen Rot durchaus vorteilhaft aussah. Und auch ihr Schmuck, die Perlenohrringe und die lange Halskette aus Perlen und Rubinen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, war äußerst geschmackvoll.
Gestärkt von diesem Hauch Eitelkeit, betrat sie den überfüllten Festsaal.
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