Die schöne Parfümhändlerin
zog.“
Julietta hielt den Atem an. Sie drückte Marcos’ Hand, bereit, ihn zurück in die Gegenwart zu holen. Auch wenn er es nicht zuließ, musste sie es versuchen. „Er hat sie erdolcht.“
„Er hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Wie einem Schwein auf dem Marktplatz. Dann hat er sie auf den Marmorboden fallen lassen und ist, die Türe hinter sich zuschlagend, gegangen. Er hat sie einfach dort liegen lassen.“ Marcos versagte die Stimme. Doch Julietta wusste, was es hieß, jung und hilflos zu sein. Wie schrecklich es war, wenn einem Kind plötzlich die geliebte Mutter auf grausame Art und Weise entrissen wurde. Julietta kannte auch die Not eines Kindes, den letzten Funken Liebe hinter einem Panzer verstecken zu müssen – und wie dieser Panzer mit den Jahren immer dicker wurde.
„Ich bin zu ihr gelaufen“, fuhr Marcos fort. „Ich habe ihren Namen gerufen, aber sie war tot. Ihr Blut floss über den kalten Boden. Dann hörte ich auf dem Korridor meinen Vater nach einem Diener rufen. Ermano sprach von einem Raubüberfall und einem hinterhältigem Mord und dass man Wachen holen solle. Da wusste ich, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Ich nahm ihr den Ring vom Finger und steckte ihn mir selbst an.“ Marcos blickte auf den blutroten Rubin an Juliettas Finger. „Dann floh ich aus dem Zimmer. Ich war fest überzeugt, dass mein Vater mich auch töten würde, wenn er bemerkte, dass ich Zeuge seiner Tat war.“
Julietta blickte auf den im Feuerschein glänzenden Ring. Welch ein schicksalsschwerer Stein. Dennoch wollte sie sich nicht davon trennen. Er verkörperte nicht nur die Mutterliebe der Ermordeten, sondern auch den Mut, den sie ihrem Sohn vererbt hatte. Das Herz eines Löwen.
„Hat er denn nie nach Euch gesucht?“, fragte sie und schloss ihre Finger wieder um seine Hand.
Marcos zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Als er sich meiner erinnerte, war ich womöglich schon in spanischen Gewässern.“
„Auf dem Weg in ein neues Leben.“
„Stimmt, Julietta. Ich liebe die Velazquez von ganzem Herzen. Sie sind auf vielfältige Weise meine wahren Eltern, ihnen verdanke ich nicht nur mein Leben, sondern auch das, was aus mir geworden ist. Aber ich schwor beim Leichnam meiner Mutter, dass ich ihren Tod eines Tages rächen würde – gleichgültig, wie lange es dauern sollte, egal, was ich dafür tun und wen ich dabei benutzen müsste.“
Er sah Julietta durchdringend an, und sie wusste, was er meinte. Er hatte versucht, sie zu benutzen. Deshalb war er in ihren Laden gekommen. Und wohin hatte es sie gebracht? Gejagt und vogelfrei waren sie. Man hatte ihnen eine Falle gestellt, aber noch waren sie nicht hineingegangen. Unglaublich, dachte sie, und das Lachen, das sie zu unterdrücken suchte, wandelte sich in ein Schluchzen.
„Bin ich ein Monster?“, fragte Marcos aufgewühlt. „Eine elende Kreatur mit dem Makel von Ermanos Blut in den Adern?“
„Bin ich eine Hexe?“
Marcos strich über ihre kalten Wangen, ein leises Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ihr habt mich ganz gewiss verzaubert.“
„So wie Ihr mich, Il leone. Sind wir nicht ein hübsches Paar? Eine Hexe ohne Magie, ein Monster mit Herz. Sagt, was sollen wir tun?“
„Nicolais Plan verfolgen. Das ist unser einziger Ausweg. Man ist uns zu dicht auf den Fersen, mein Schiff wird zu gut bewacht, als dass wir damit fliehen könnten. Einmal bin ich davongelaufen – dieses Mal nicht.“
„Und Eure Rache? Wenn unser Plan gelingt, dann bleibt Euer Schwur unerfüllt.“
Lange schwieg Marcos. Wie flirrende Hitze lag das Schweigen zwischen ihnen. „Ist Ermano nicht schon damit genug gestraft, dass er Ermano ist?“, sagte er schließlich.
Julietta lachte kurz auf. „Das ist gewiss ein Schicksal, das ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde. Aber Ermano ist reich und mächtig.“
„Und was hat es ihm gebracht? Ich kam nach Venedig, in der Erwartung, mich einem stolzen Titan zu stellen, aber ich fand nicht, wonach ich suchte. Ermano besitzt Reichtümer, und er hat Macht, das ist wahr. Der gesamte Adel Venedigs katzbuckelt vor ihm. Aber das ist ihm nicht genug. Er ist wie eine unersättliche Spinne, die sich in ihrer Gier in ihrem eigenen Netz verfängt. Groll und Gier machen ihn krank und böse. Denkt nur daran, wie er Euch verfolgt hat. Denkt nur daran, wie er seinen eigenen Sohn und Erben behandelt.“
„Ja, Ermano ist wirklich krank“, sagte Julietta leise. Sie erinnerte sich an seine Augen, als er ihre Hand
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