Die schöne Parfümhändlerin
noch nicht mit Balthazars Mutter verheiratet. Es war also keine Dame im Haus, die ihm das verwehren konnte. Mir war erlaubt worden, am Beginn des Festes den Musikanten zu lauschen und die ein oder andere Süßigkeit zu stibitzen. Dann brachte mich meine Kinderfrau zu Bett.“
„Aber Ihr bliebt nicht dort.“
Marcos sah sie wieder mit diesem kühlen Blick an. „Eine Weile. Ich war erst sechs, für ein Kind in diesem Alter ist ein Festessen eine aufregende Angelegenheit. Zum Glück habe ich nicht lange geschlafen.“
„Zum Glück?“
„Wenn ich nicht aufgewacht wäre und gesehen hätte, was geschah, dann wäre ich wohl jetzt nicht hier. Ich wäre tot oder, noch schlimmer, einer von Ermanos Speichelleckern, der durch Venedig eilt und seine schmutzigen Geschäfte erledigt, so wie Balthazar.“
„Oder Ihr wärt der Erbe eines riesigen Vermögens.“ Irgendwie machte ihr diese Vorstellung Angst, so verlockend und verheißungsvoll sie auch für viele sein mochte. Marcos passte nicht an den Kopf von Ermanos reich gedecktem Tisch, als Herren über die kalten, toten Räume des Palazzo konnte sie sich ihn ganz und gar nicht vorstellen. Er gehörte auf sein Schiff, Wind und Wellen passten zu ihm – die Freiheit der Meere.
Manchmal war Gottes Gnade schon etwas Seltsames.
Marcos lachte bitter. „Das überlasse ich alles dem armen Balthazar. Ich will nur eines von Ermano.“
„Sein Blut.“
„Wie verständnisvoll Ihr doch seid, Julietta. Wenn Ihr meine Mutter gekannt hättet, wenn Ihr gesehen hättet, was in jener Nacht geschah …“
Julietta hatte es nicht gesehen, aber Ermano Grattianos Ende würde sie erfreuen. Er hatte für sie ein ähnliches Schicksal geplant, wie ihre Mutter und Marcos’ Mutter es erlitten hatten. Obendrein wollte er ihren Liebhaber dazu benutzen, sie zu töten. Und alles nur, weil sie, eine unabhängige Frau, sich nicht seinen empörenden Wünschen fügen wollte. Sie erhob sich von der Bettkante, stellte sich an Marcos’ Seite und streckte die Hand nach ihm aus.
„Erzählt mir, was dann geschah“, bat sie leise.
Eine ganze Weile starrte Marcos auf ihre Hand. Dann nahm er sie plötzlich und zog Julietta neben sich auf die Truhe. Eng, Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel, saßen sie beieinander auf dem schmalen Kasten. Marcos hielt Juliettas Hand fest, aber in Gedanken schien er ganz woanders zu sein.
„Ich bin von irgendetwas wach geworden, eine Bewegung vor meiner Tür, möglicherweise ein Flüstern der Diener. Ich konnte nicht wieder einschlafen“, begann er und starrte auf ihre verschränkten Finger. „Deshalb bin ich aus dem Bett und hinaus auf den Flur geschlichen. Meine Schlafkammer befand sich in der Nähe des Raums, in dem ich Euch auf Ermanos Fest fand.“
„In dem Raum, aus dem wir geflohen sind?“ Julietta erinnerte sich, wie er sie aus dem Fenster und die schmale Stiege hinuntergetragen und sie vor Ermano und seinem erdrückenden Fest gerettet hatte.
„Ja … Es war sehr spät, dunkel und still. Alle Gäste waren gegangen. Dann hörte ich plötzlich ein Geräusch, Stimmen, die aus diesem Raum kamen. Sie wurden immer lauter und ärgerlicher. Meine Eltern stritten. Ich wusste, dass sie noch ärgerlicher würden, wenn sie mich entdeckt hätten. Eine Regel in meinem jungen Leben hieß nämlich, meine Mutter niemals zu stören, wenn sie mit einem Mann zusammen war. Das galt ganz besonders, wenn sie bei meinem Vater war. Ich wollte schon zurück in meine Kammer, als ich einen Schrei hörte.“ Marcos hielt inne.
„Und Ihr seid dorthin gelaufen.“ Julietta konnte sich die Situation gut vorstellen. Selbst als Sechsjähriger würde ihr tapferer Löwe einem Menschen in Not zu Hilfe eilen. Versuchte er nicht, auch ihr zu helfen, obwohl er längst aus Venedig hätte verschwinden können?
„Die Tür war angelehnt. Ich bin in den Raum geschlichen und habe mich hinter einem Paravent versteckt. Er stand vor dem Kamin. Den Wandschirm gibt es nichtmehr, sowie es heute vermutlich überhaupt keine Verstecke mehr im Palast gibt. Wie gesagt, meine Eltern stritten häufig. Oftmals hatte ich mitbekommen, wie sie sich wutentbrannt trennten und sich dann ganz schnell wieder versöhnten. Doch dieser Streit schien mir anders zu sein. Es war eine heiße, schwüle Nacht, die das Blut zur Wallung brachte. Ich verstand nicht richtig, worum es ging. Was sind schon Anschuldigungen von Treulosigkeit für ein Kind? Aber ich wusste, was es bedeutete, als mein Vater seinen Dolch
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