Die schöne Parfümhändlerin
Julietta erstaunt. Er schien wirklich gesandt, um sie in die Irre zu führen.
„Es ist Ermanos Wunsch, dass auf dem Fest eine Maskerade gespielt wird. Gut, die soll er haben. Aber eine andere, als er sich wünscht. Hört meinen Vorschlag …“
Die ländliche Stille war entspannend und zugleich schrecklich beunruhigend. Julietta lehnte am Fenster ihrer Schlafkammer und schaute hinunter in den verlassenen Garten. Langsam schob sich eine Wolke vor den Mond und überzog die Landschaft mit nebelgrauer Finsternis. In der Stadt war es niemals richtig still. Immer hörte man Lachen, Weinen und Rufen, man vernahm Schritte auf Holz oder Stein, Wasser plätscherte in den Brunnen, der Klang der Glocken rief zum Gebet. Hier, auf dem Land, war es ganz still. Selbst der Wind hatte sich zur Ruhe gelegt.
Das einzige Geräusch kam aus dem Raum hinter ihr, der mollig warm vom Kaminfeuer war. Julietta drehte sich um. Marcos stand am Bett. Sein buntes Wams hing über der Kleidertruhe. Die Bänder seines weißen Leinenhemdes waren gelöst und gaben die dunkel gebräunte Brust preis. Seine Haarspitzen waren noch nass vom Wasser, mit dem er sich das Gesicht gewaschen hatte.
Reglos, eine Hand auf dem geschnitzten Bettpfosten, stand Marcos da und schaute Julietta still und nachdenklich an. Kein beruhigendes Lächeln lag auf seinen Lippen, noch waren die Mundwinkel missbilligend heruntergezogen. Glatt wie eine Karnevalsmaske war sein Gesicht, dunkelblau die tief in den Höhlen liegenden Augen.
Julietta ballte eine Hand zur Faust. Der Rubinring erinnerte sie an einen Schwur: Tragt ihn, und schickt ihn mir, wenn Ihr meine Hilfe braucht. Ich werde Euch immer hören. Ja, nun schien sie wirklich Marcos’ Hilfe zu brauchen. Sie, die nie jemanden um Hilfe gebeten hatte. War es schließlich keine Torheit, sich auf irgendjemanden allzu sehr zu verlassen? Doch nun brauchte sie weitaus mehr als nur seine heldenhafte Kraft.
Nachdenklich senkte Julietta den Blick. Die wartende Gestalt im Schein des Kaminfeuers war zu verführerisch. Sie hatten sich einander hingegeben, waren so eng beieinander gewesen, wie zwei menschliche Wesen nur sein konnten. Doch nie hatte sie seine Nähe als so gefährlich empfunden wie in diesem Moment. Ihr war, als schöbe sich die Stille des Raumes zwischen ihre Herzen. Bedrohlich schienen ihre Geheimnisse über ihnen zu schweben, kurz davor, in feuriger Explosion auf den Boden zu stürzen und alles mit einem einzigen Wort zu verändern. Marcos kannte das Schicksal ihrer Mutter. Er wusste, was mit ihr geschehen war, aber er kannte noch nicht die ganze Wahrheit. Und Julietta wusste nicht einmal, ob sie dafür überhaupt Worte finden konnte.
Ein leises Rascheln riss sie aus ihren Gedanken. Marcos hatte sich auf die Kleidertruhe am Fußende des Bettes gesetzt. Die Beine in den schwarzen Strümpfen weit von sich gestreckt, lehnte er sich, die Hände seitlich neben sich aufgestützt, zurück und sah sie weiter schweigend an. Er schien angespannt, beobachtete sie so aufmerksam, wie ein sich aus der Ferne näherndes Schiff – als ob er sich fragte, ist sie Feind oder Freund?
Feinde durften sie nicht sein. Jetzt nicht mehr. Denn wenn sie nicht zusammenhielten, dann wären sie beide verloren.
Julietta schloss die Fensterläden und setzte sich auf die Bettkante. Sie konnte Marcos nur aus den Augenwinkeln beobachten, aber sie hörte ihn atmen und ahnte, wie sich das Hemd auf seiner Brust bei jedem seiner Atemzüge bewegte.
„Ist Nicolai wirklich ein Wanderschauspieler?“, beendete sie schließlich das lange Schweigen.
Gemächlich legte Marcos einen bestiefelten Fuß über den anderen. Ihr war, als müsse er seine Antwort wohl überlegen. „Ja, auch“, antwortete er gedehnt.
„Was heißt auch?“
„Das soll er Euch selbst erzählen. Nicht einmal ich kenne Nicolais ganze Geschichte.“
„Aber wird er uns wirklich helfen?“
„Dafür verwette ich mein Leben.“
„So sehr vertraut Ihr ihm?“, fragte Julietta zweifelnd.
Marcos nickte. Seine Haare fielen ihm wie ein Vorhang vors Gesicht und verbargen sein Mienenspiel. Wie gerne hätte Julietta ihm die seidenen Locken aus dem Gesicht gestrichen und ihre Hände um seine warmen Wangen gelegt, um ihr kaltes Herz zu wärmen. Doch sie verharrte auf ihrem Platz und schob ihre Hände unter die Falten ihres Wollgewandes. Jetzt brauchte sie dringender Antworten als Marcos’ körperlichen Trost.
„Ja, das tue ich“, bestätigte Marcos mit fester Stimme. „Er hat mir mehr
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