Die schöne Parfümhändlerin
Mädchen zur Sünderin gemacht hatte.
Doch Julietta hatte im Augenblick nicht die Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Sie hatte Wichtigeres zu tun.
22. KAPITEL
Der Sonnenuntergang vor dem Fest im Dogenpalast war unvergleichlich schön, so als wolle das orange und goldene Flammenmeer die farbenfrohe Festlichkeit am Abend ankündigen.
Julietta stand im Zigeunerkostüm in ihrer Schlafkammer. Sie trug einen weiten roten Flickenrock und dazu ein engesschwarzes Mieder mit weißen Ärmeln. Die Wölbung durch den harten Sack, den sie sich fest um die Hüften gebunden hatte, fiel glücklicherweise kaum auf. Die Haare, in die sie viele bunte Bänder geflochten hatte, fielen ihr offen über die Schultern. Es war ein einfaches Kostüm, das sie ohne die Hilfe ihrer Magd anlegen konnte, und im Vergleich zu ihrer üblichen düsteren schwarz-weißen Garderobe ein trügerischer Wandel. Es fehlte nur noch die rote Maske, und Julietta war bereit für das Fest im Dogenpalast.
Doch erst im Schutz der Dunkelheit wollte Marcos sie abholen. Bis dahin war sie allein mit ihren Gedanken – und ihren Ängsten.
Julietta setzte sich auf die Bettkante und stützte die Füße in den roten Schuhen auf die kleine Reisetruhe, die sie am Morgen gepackt hatte. Die Bücher ihrer Mutter, eingewickelt in Leinenhemden, lagen darin, dazu hatte sie noch ein paar Kleider und einige ihrer Lieblingsparfümflaschen hineingelegt. Mehr wollte sie aus diesem Leben nicht mitnehmen.
Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was die kommenden Tage bringen sollten. Aber was auch immer geschehen würde – dieser Lebensabschnitt war abgeschlossen. Ihre Zeit in Venedig, ihre Zuflucht in den wasserumsäumten Gassen und an einen Ort, an dem sie ein unabhängiges Leben geführt hatte, ging mit diesem Sonnenuntergang zu Ende. Biancas Betrug und Flucht bestätigten Julietta nur, dass sie Venedig verlassen musste, so wie sie damals aus Mailand hatte fortgehen müssen. Eine bittere Erkenntnis. Schuld an allem war Ermano, und dafür würde er letztendlich auch zahlen müssen. Nur er?
Sie hielt ihre Hand ins Licht und beobachtete, wie die letzten Sonnenstrahlen den Rubinring zum Funkeln brachten. Dieser Ring verband sie enger mit Marcos, als jede Trauung es könnte. Ihre Herzen, ihr gemeinsames Schicksal waren miteinander verflochten – im Guten wie im Schlechten. Und neben diesem Zeichen ihrer Verbundenheit trug sie ihre Versicherung für den Notfall. Es war ein breiter Goldring mit einem großen grünen Stein, in dem ein winziges Giftfach steckte – ein Geheimnis, das ihre französische Großmutter ihr verraten hatte.
Julietta legte die Hand fest über die beiden Ringe. „Oh ma man“, flüsterte sie. „Wenn ich nur eine Spur von Eurer Magie besitze, dann helft mir, sie jetzt zu finden. Ich brauche dringend Hilfe.“
Aber ihre Mutter schwieg. Und Julietta blieb allein. Sie hielt die Ringe immer noch fest umschlossen, als sie sich langsam zwischen den ordentlich aufgetürmten Kissen auf die Seite legte. Sie schloss die Augen gegen das grelle Abendlicht und sank alsbald erschöpft in einen traumlosen Schlaf.
„Julietta, Julietta, querida, wacht auf!“
„Hmm!“, murmelte Julietta und drehte sich auf die andere Seite.
„Kommt, es wird höchste Zeit.“
Jemand zog sie aus ihrem warmen Nest und hielt sie in den Armen. Widerwillig schlug sie die Augen auf und blinzelte ins Kerzenlicht – nicht in die untergehende Sonne. Es dauerte einen Moment, bis Julietta begriff, dass sie nicht träumte. Plötzlich war sie hellwach. Das Fest! Sie blickte auf. Marcos hielt sie in seinen Armen. Ein ungeheuerliches Glücksgefühl durchströmte sie, als sie ihn sah, so als wären sie Jahre und nicht nur ein paar Tage getrennt gewesen.
Auch Marcos trug ein Zigeunerkostüm – eine enge schwarze Hose mit breiter roter Schärpe und ein besticktes Wams. Das schulterlange Haar war vom Wind zerzaust, und den Ohrring mit der Perle hatte er durch einen schmalen Goldreif ersetzt. Nur sein besorgter Blick strafte diesen festlichen Aufzug Lügen.
Julietta setzte sich mit seiner Hilfe auf. „Wie spät ist es? Haben wir verpasst …“
„Nein, nein“, beruhigte Marcos sie. „Ich bin früh gekommen. Wir haben noch genügend Zeit.“
„ Va bene.“ Julietta nestelte an ihrer Frisur und flocht die Bänder, die sich gelöst hatten, wieder fest in ihr Haar. Diese alltägliche Beschäftigung beruhigte sie ein wenig.
„Wie Ihr seht, ist alles vorbereitet.“ Sie zeigte auf die
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