Die schöne Parfümhändlerin
wilden Blick war nicht mehr das fröhliche Mädchen, das tagein, tagaus an ihrer Seite arbeitete und unter ihrem Dach lebte. Bianca war eine Fremde.
„Mein Bruder“, schluchzte sie. „Man hat ihn aus den Bleikammern entlassen. Danach hat Ermano ihn gezwungen, im Hause Grattiano als Knecht zu arbeiten, obwohl er schwer krank ist. Er will fliehen und möchte, dass ich mit ihm zurück nach Konstantinopel gehe. Ich wollte dort einen Parfümladen so wie diesen hier aufmachen. Ich brauchte die Rezepte für den Anfang.“
„Ich hätte dir jedes Rezept gegeben, Bianca. Du hättest nur fragen müssen.“ Erneut fühlte Julietta kalte Wut in sich aufsteigen, am liebsten hätte sie laut geschrien, aber sie schüttelte Bianca nur noch fester.
„Wirklich, Madonna?“ Bianca sah sie zweifelnd an.
„Natürlich!“ Alle? Sicherlich nicht, dachte Julietta im Stillen.
„Hättet Ihr uns Geld für die Heimreise gegeben, um Vorräte und Lebensmittel zu kaufen und einen Laden zu mieten?“ Bianca stand still, sie kämpfte nicht mehr. Kummerfalten zeichneten das runde Gesicht, die ehemals so lebhaften braunen Augen schauten Julietta traurig an.
„Ich hätte dir so viel gegeben, wie mir möglich gewesen wäre“, sagte Julietta.
„Ich brauchte viel Geld – für den Arzt für meinen Bruder und für einen feinen Laden, in den die reichen Herrschaften auch kommen.“ Sie trat mit der Fußspitze gegen den Sack. Schmuck und Münzen klimperten. „Der Conte bot mir diese Reichtümer. Genug, um mir und meiner ganzen Familie ein prächtiges, neues Leben aufzubauen. Dafür sollte ich ihm erzählen, was Ihr so treibt. Euer Leben war so ruhig und geordnet, Madonna. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas geben würde, was er gegen Euch verwenden könnte.“
„Mich beobachten – und einen Mord begehen. War er es, der Cosima Landucci und die anderen zu dir geschickt hat?“
Bianca schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, weshalb sie zu mir gekommen sind. Es hat sich wohl herumgesprochen. Nachdem Ihr ihnen geholfen habt, ihre Verletzungen zu heilen, wenn ihre Ehemänner wieder einmal … unglücklich mit ihnen gewesen waren. Diese Männer waren so grausam, ich wollte nur helfen. Ich dachte, Ihr hättet das auch getan, nachdem … nun ja, nachdem Euer Gatte …“
Julietta schwirrte der Kopf. Gewiss, vielleicht hätte sie das auch getan. Sie wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war. „Sie belohnten dich großzügig, und Ermano war erfreut. Praktisch, zwei Fliegen mit einer Klappe, was, Bianca?“
„So war es nicht“, schluchzte Bianca.
„Und weshalb wolltest du dich denn dann heimlich aus dem Staub machen?“
„Ich hatte genug von dem Conte, genug von dieser ganzen übel riechenden Stadt. Ich weiß, bald wird etwas Schreckliches passieren. Heute Morgen sah ich den Mann, der den Laden beobachtete. Es ist derselbe Mann, der mir immer die Botschaften überbrachte. Jetzt ist mein Bruder endlich wieder so weit, dass er reisen kann. Deshalb müssen wir aufbrechen.“ Mit Tränen in den Augen flüsterte sie: „Solange es noch geht, solltet auch Ihr fliehen, Madonna.“
Julietta schüttelte sie wieder am Arm. „Zu spät, Bianca! Was du in Gang gesetzt hast, lässt sich nicht mehr aufhalten.“
Biancas Miene wurde hart. „Es tut mir aufrichtig leid, auch wenn Ihr es mir nicht glaubt. Ich bin Euch für alles dankbar, Madonna. Ich würde Euch wirklich helfen, wenn ich könnte. Aber ich kann es nicht.“
Plötzlich holte Bianca mit ihrer Stiefelspitze aus und trat ihrer Herrin gegen das Knie. Unwillkürlich ging Julietta einen Schritt zurück. Die Dienerin befreite sich aus Juliettas festem Griff und flüchtete aus dem Lagerraum. Die Eingangstür fiel krachend hinter ihr zu.
Julietta hätte hinter ihr herlaufen können. Leicht hätte sie die Magd durch die Gassen verfolgen und einfangen können. Doch Juliettas Kummer wog zu schwer. Warum sollte sie Bianca mit in das schmutzige Drama hineinziehen, das sie und Marcos spielen mussten? Bianca hatte getan, was das Beste für sie und ihre Familie war – oder zumindest, was sie dafür hielt. War das nicht nur allzu menschlich?
Sie konnte der Magd nur wünschen, dass ihr die Flucht gelingen mochte und dass sie in den geschäftigen Suks von Konstantinopel ihren Laden eröffnen konnte. Vielleicht, wenn alles gut ginge, würden sie und Marcos eines Tages auf Biancas Türschwelle stehen. Und möglicherweise würde Ermano noch dafür zu zahlen haben, dass er das arme
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