Die schöne Rächerin
Waden. Sie waren definitiv nach irgendwohin unterwegs.
Wenigstens verbesserte sich der Geruch; oder seine Sinne fingen an, ihn im Stich zu lassen. Schrecklicher Gedanke, das. Den Geruch von gebratenem Wildbret nicht mehr riechen zu können, oder den Duft der Rosen … oder der süß parfümierten Frauen. Nicht, dass er mit ihnen etwas hätte anfangen können.
»Aber sie zu riechen, war trotzdem gut«, murmelte er vor sich hin. Er sah einen Augenblick lang Roses Profil im Licht, als sie sich nach ihm umdrehte. Er machte sich nicht die Mühe, sich zu erklären. Sie hätte ihn eh nur für verrückt gehalten, weil er sich um so etwas Triviales sorgte, während ihrer aller Leben in Gefahr war.
Rose hatte Collis’ Gemurmel deutlich genug gehört. Falls er sich darum sorgte, seinen Geruchssinn zu verlieren, konnte sie ihn trösten. Sie hatte genug Nachttöpfe geleert, um zu wissen, dass man den Geruch nach einer gewissen Zeit einfach nicht mehr wahrnahm, die Nase aber weiterhin perfekt funktionierte.
Ihre Schulter pochte mit jedem Herzschlag mit, doch sie hatte jetzt keine Zeit, sich deswegen zu sorgen. Sie durfte die anderen nicht aufhalten. Der Prinz musste in Sicherheit gebracht werden.
George sah sich über die Schulter um, seine dicklichen Wangen glänzten im Licht der Laterne. »Wusste ich doch, das ich das hier kenne! Ein Stück geradeaus ist einer der königlichen Tunnel!« Er stiefelte mit frischem Enthusiasmus weiter.
Rose blieb verwirrt stehen. Hatte der Prinz Zweifel gehabt?
Collis schloss zu ihr auf. »Bitte sagen Sie mir, dass er weiß, wo er hingeht«, bettelte sie leise.
Rose konnte die Hitze seines Körpers durch ihr feuchtes Kleid spüren. Sie sehnte sich danach, sich nur für einen Moment an ihn sinken zu lassen, seine Wärme und seine Kraft zu spüren. Sicher, Collis hätte sie nur verständnislos angestarrt, aber im Augenblick war sie für etwas Wärme und Trost beinahe bereit, die Närrin zu geben.
»Rose?« Er berührte ihre Schulter. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Die Besorgnis in seiner Stimme ließ ihre Knie weich werden - und sie konnte es sich nicht leisten, schwach zu werden. Sie schob seine Hand weg. »Gütiger Himmel, Collis, passen Sie doch auf Ihre Hände auf, wenn ich bitten darf!« Sie zwang ihre Knie, sich in Stahl zu verwandeln und stakste weiter, wobei die gespielte Wut ihr eine Kraft verlieh, die sie Minuten zuvor noch nicht gehabt hatte.
Collis starrte hinter ihr her. Seine offene Handfläche schloss sich, um ihre Wärme einzufangen.
Seine innere Stimme erinnerte ihn daran, dass sie durchgefroren und verängstigt war. Er versetzte der Stimme einen zackigen Kinnhaken und ließ sie bewusstlos am Boden liegen. Miss Lacey würde ihm einiges zu erklären haben.
Sie ist aber nicht diejenige, die den Prinzregenten auf eine Mission mitgenommen hat, die alles andere als ein Zuckerschlecken ist, oder?
Verdammt. Seine innere Stimme war wieder da. Nun, dann hatte er hier hinten im Dunkeln wenigstens Gesellschaft.
In seinem Büro hoch im Speicher eines einigermaßen respektablen Herrenclubs, der unter dem Namen Liar’s Club bekannt war, nahm sich Dalton Montmorency an diesem geschäftigen Morgen etwas Zeit, um seinen verspannten Nacken von einer Seite zur anderen zu rollen. Halsbinde und Kragen verschoben sich ob der sonderbaren Bewegung. Verdammt, war er müde. Die ersten Schüler mussten ihren Abschluss erst noch machen, und die Liars litten immer noch unter gravierendem Personalmangel. Nicht einmal die doppelte Zahl von Einsatzkräften hätte ausgereicht. Auf der anderen Seite des Kanals braute sich etwas zusammen. Dalton wusste es einfach.
Und dann war da noch die verfluchte ›Voice of Society‹. Das Klatschblatt hatte schon einmal lebenswichtige Informationen durchsickern lassen - Informationen, die es eigentlich nicht hätte haben dürfen.
Aber irgendwer hatte sie eben doch.
Es spielte keine Rolle, in welcher Zeitung die ›Voice of Society‹ als Beilage erschien. Wenn die Regierung auf diese Zeitung Druck ausübte, verschwand die Beilage einfach und erschien zusammen mit einer anderen Zeitung.
Bis jetzt war es keinem Verleger gelungen, die ›Voice of Society‹ zu einer Absprache zu bewegen. Es gab keine Bezahlung, und wer die Chance bekam, die ›Voice‹ zu verbreiten, der tat es auch. Wer die ›Voice‹ hatte, verkaufte mehr Zeitungsexemplare als alle anderen zusammen.
Und je mehr Exemplare es waren, desto weiter verbreiteten sich die Geheimnisse der
Weitere Kostenlose Bücher