Die schöne Rächerin
helfen Sie mir, ihn hochzuziehen.«
Der Deckel bewegte sich leichter als die alten Deckel im Zentrum der Stadt. Sie konnte nur hoffen, dass der Tunnel darunter ähnlich modern war. »Und runter geht’s«, sagte sie zu Ethan.
Er verbeugte sich. »Ladys first.«
Durch den Tunnel war es zurück zur Fabrik nur ein kurzes Stück. Der Kanal war zum Glück nur eine zusätzliche Drainage für starken Regen, es war kaum Dreck zu sehen. Als sie von oben Tageslicht eindringen sah, blieb Rose stehen. »Woher wollen Sie wissen, ob wir unter dem richtigen Deckel sind?«, fragte Ethan.
»Hören Sie das? Wir konnten vorhin von unserem Standort aus die Stanzmühle hören, erinnern Sie sich? Hier unten ist sie sogar noch besser zu hören.« Der Rhythmus des schweren Stampfwerks schien von direkt über ihnen zu kommen.
»Also gut. Was jetzt?«
Rose seufzte frustriert. »Wir warten. Die Arbeiter werden bald fort sein. Danach sind hoffentlich nur noch ein paar Wachmänner da.«
»Womit hat Collis diesen Wadsworth eigentlich so verärgert?«
Rose setzte sich auf einen einigermaßen trockenen Flecken. »Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht erklären.«
Damont plumpste neben sie. »Sie können überhaupt nicht viel erklären, was?« Er seufzte schwer. »Ich bin hungrig, und ich langweile mich, also werde ich reden, ja?«
»Ich bin auch hungrig, aber mir ist nicht langweilig.« Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Noch nicht.«
»Nun, dann lassen Sie uns über unseren gemeinsamen Freund sprechen. Der größte Glückspilz, den ich kenne. War per Geburt eigentlich kaum höher gestellt als ich. Seine Mutter hatte zwar gewisse Verbindungen, aber sein Vater war lediglich Oberstleutnant, wenn auch hochdekoriert.«
Damont lehnte sich an die schmutzige Wand und rieb sich den Kopf. »Und dann das, Titelerbe der Etheridges. Genau die überkandidelte Sorte Snob, mit denen mich mein Vater zur Schule hat gehen lassen - damit ich lukrative Beziehungen knüpfe, verstehen Sie - und dann sah er auch noch gut aus und hatte Talent.« Er lachte. »Er hat sich ziemlich treiben lassen. Und irgendwie war das alles ein bisschen unfair.«
Er sah sie nicht an, aber sie spürte seine Aufmerksamkeit nichtsdestotrotz. »Haben Sie sich nie gefragt, wie Collis über einen Onkel mütterlicherseits zum Etheridge-Erbe werden konnte?«, fragte er.
Rose schüttelte den Kopf. Sie hatte es schon sonderbar gefunden, aber als typisch für die aristokratische Welt abgetan, die ihr so fremd war. Die Leute hatten zu der Frage hartnäckig geschwiegen, wenn sie jetzt so darüber nachdachte.
Und hier war Ethan Damont, der ganz beiläufig tat, aber förmlich danach gierte, es ihr zu erzählen. Das konnte in der Tat interessant werden.
Sie war zwar sehr besorgt um Collis’ Sicherheit, konnte jetzt aber keine einschlägigen Informationen sammeln. Die Geschichten aus seiner Vergangenheit würden reichen müssen.
»Er hat es mir einmal erzählt, als wir noch kleine Jungen waren. Sein Vater war kein Aristokrat, seine Mutter hatte nämlich weit unter ihrem Stand geheiratet. Wie ich hörte, wollte sie ihn unbedingt zum Mann haben. Eine echte Liebesheirat. Sehr ungewöhnlich, das.«
Nicht in ihrer Welt. Um sie herum strahlten alle vor Liebe und lebten ihr vor, was sie selbst nie haben würde. Agatha und Simon, Dalton und Clara, James und Phillipa. Sie schürzte die Lippen. Tat Kurt vielleicht irgendetwas in den Pudding? »Ihrer Ansicht nach hätte Collis also der Letzte sein müssen, der einen Titel erbt, korrekt?«
»Nun, wenn man als Kind vom Prinzen auf den Knien geschaukelt worden ist, dann glaubt man wohl auch an die Vorsehung. Er hat mir während unserer Schulzeit die phantastischsten Geschichten über den Prinzen erzählt. Ich dachte anfangs, er erfindet das alles nur. Dann habe ich ihn, so weit ich mich erinnern kann, eine ganze Zeit lang nicht mehr gesehen … wie auch immer, dann haben wir jedenfalls die Frauen für uns entdeckt.«
Rose schnaubte leise. »Das kann ich mir vorstellen.«
Ethan lächelte sie an. »Ich frage mich, ob Sie mir glauben würden, dass Collis einmal der romantischste Bursche war, den ich je getroffen habe? Süchtig nach Shakespeare, verrückt nach Lyrik und ständig schrieb er Gedichte.«
Rose kniff die Augen zusammen. Was für ein Unsinn. »Nichts davon glaube ich.«
»Jedes Wort ist wahr. Ich schwöre es.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo dieser Junge hingekommen ist. Nachdem seine Eltern gestorben sind, ist ein
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